Die Auszeichnung mit dem Nobelpreis war stets eine Entscheidung, die die ganze Gesellschaft interessierte, selbst die größten Nachrichtenmuffel vor den Fernseher lockte und oft, da nicht selten mit politischer Aussagekraft, von vielen Diskussionen begleitet wurde. Aber noch nie hat eine solche Entscheidung die Gesellschaft so gespalten wie dieses Mal: Mit der Auszeichnung von Bob Dylan als Literaturnobelpreis-träger des Jahres 2017.
Bis vor kurzem hätte sich kaum jemand träumen lassen, einmal den Namen Bob Dylan in einer Reihe mit Thomas Mann, Hermann Hesse, Winston Churchill und Alice Munro zu lesen. Schließlich ist er kein klassischer Schriftsteller, sondern Musiker. Genauer gesagt einer, der als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird und eine Ikone des Rocks ist. Damit begründet auch die Jury des Literaturnobelpreises ihre Entscheidung. „Wir haben die Entscheidung in großer Einigkeit getroffen“ , sagt Sara Danius, Mitglied des Nobelkomitees und Sekretärin der Svenska Akademien, zu deutsch Schwedische Akademie, die, wie in Alfred Nobels Testament festgelegt, mit der Aufgabe betraut ist, alljährlich den Literaturpreisträger zu bestimmen.
Der Nobelpreis für Literatur gehört zu den fünf von Alfred Nobel ins Leben gerufenen Preisen, mit denen jährlich die Menschen ausgezeichnet werden, die, so Nobel, „…der Menschheit die größte Wohltat erwiesen haben“. Die Verleihung des Literaturnobelpreises soll laut Nobel den auszeichnen, der „das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen hat“, und findet stets am 10. Dezember statt. Das Auswahlverfahren unterliegt dem Nobelkomitee, deren 18 Mitglieder alle drei Jahre von der Schwedischen Akademie gewählt werden. Sie erarbeiten Kandidatenlisten und stimmen nach Einarbeitung in deren Werke und einer Debatte über den Preisträger ab.
Nobelpreis für einen Musiker
Nun also wird Bob Dylan mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet – als erster Songwriter überhaupt – „for having created new poetic expressions within the great American song tradition“ , so das Nobelkomitee. Bob Dylan wurde am 24. Mai 1941 als Robert Allen Zimmermann in Duluth, Minnesota, geboren. Bis in die 1960er Jahre widmete er sich der Folkmusik. Am 11. April 1961 hatte er seinen ersten professionellen Auftritt. Im folgenden Jahr veröffentlichte Bob Dylan sein erstes Album namens Bob Dylan, das größtenteils aus Fremdkompositionen bestand und kaum Erfolg hatte. Doch durch die folgenden Alben The Freewheelin` Bob Dylan und The Times They Are a Changing machte er sich einen Namen. In dieser Zeit waren seine Songs hauptsächlich Lovesongs und sozialkritische Songs, die, allerdings ungewollt, auch in Jugend- und pazifistischen Bewegungen großen Anklang fanden.
Mitte der 1960er Jahre reicherte er seine Musik mit elektrischer Verstärkung durch eine Begleitband an. Dies stieß bei vielen seiner Fans, die seine klassische Folkmusik gemocht hatten, auf Widerstand und Empörung. Bei folgenden Konzerten wurde er regelmäßig ausgebuht und bei einem Auftritt 1966 sogar als Verräter der Folkmusik beschimpft. Doch anstatt sich davon einschüchtern zu lassen, ließ er seine Band noch lauter spielen. So entwickelte sich Bob Dylans Musik über die Alben Bringing All Back Home, Highway 61 Revisited und Blonde on Blonde zur Rockmusik. Dabei waren seine Texte literarisch höchst anspruchsvoll. Er arbeitete mit vielen Metaphern, literarischen Verweisen und Wortspielereien, oft in Form von Streams of Consciousness. Sein Song „Knocking at Heavens Door“, das er 1973 für den Soundtrack des Westernfilms Pat Garret jagt Billy the kid verfasste, gilt als einer seiner berühmtesten Kompositionen. Trotz einer Phase voller schlechter Kritik und weniger Erfolge in den 1980er Jahren wurde er 1988 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen, mit Bruce Springsteen als Laudator. Schließlich begann Bob Dylan 1988 seine sogenannte Never Ending Tour, durch die er viel Beliebtheit wiedergewann. Seitdem hat Bob Dylan durchschnittlich 100 Auftritte pro Jahr. Am 16. Oktober 2007 in Ohio gab er angeblich sein 2000. Konzert. Nun hat Bob Dylan insgesamt 37 Studioalben produziert, sowie einige Singles und Livealben. Hunderte von Songs hat er in seiner Karrierelaufbahn bereits geschrieben, es sind über 500 Songs. Auch die Popmusik hat er nicht unerheblich beeinflusst. Und es gibt keinen, der ihn nicht kennt. “He is a great poet of the English speaking tradition and a wonderful sampler, an original sampler!“, so schwärmt auch Sara Danius aus dem Nobelkomitee auf die Frage hin, warum sich das Komitee für Bob Dylan entschieden habe. Seit 44 Jahren erfinde er sich unentwegt neu, “creating a new identity“. Und sie findet bei Dylan “a brilliant way of thinking and putting together refrains“. Die Frage, ob sich der Horizont des Literaturnobelpreises geweitet habe, beantwortet sie sehr überzeugt: Nein. “It may look like that, but really, we haven´t!“ Sie vergleicht Bob Dylan vielmehr mit Homer. Homer habe auch poetische Texte geschrieben, die dazu gedacht waren, gehört und performed zu werden, zum Teil mit Instrumenten. “Same way with Bob Dylan.“ Und noch immer lesen wir Homer und genießen es, wie Danius meint. So herrschte im Komitee also große Überzeugung von Bob Dylan als die richtige Wahl.
Zweifel an der Preisvergabe
Umso größer die Zweifel und Empörung, als Bob Dylan erst überhaupt nicht auf die Auszeichnung reagierte. Erst zwei Wochen nach dem Tag der Verkündung, dem 13. Oktober 2016, meldete er sich und erklärte, er nehme die Ehre selbstverständlich an und wolle falls möglich auch zur Preisverleihung am 10. Dezember nach Schweden kommen. Im November sagte er diese “wegen anderweitiger Verpflichtungen“ ab. Die Dankesrede schickte er, sodass sie verlesen werden konnte. Viele hatten den Eindruck, dass Dylan diese Ehre nicht genug wertschätze und kein Interesse an der Auszeichnung habe. Am ersten Wochenende im April 2017 war er nun aber aufgrund einer Tournee ohnehin in Stockholm, und so wurde ein Treff en mit ihm vereinbart. Der Preis erreichte also endlich seinen Träger.
Dankesrede in Form eines Liedes
Nun, am 7. Juni 2017, hat Bob Dylan schließlich auch seine Nobelpreisrede abgeliefert, ohne die er das Preisgeld nicht erhalten kann. Einreichfrist war am 10. Juni. Die Rede hat er vertont, als Musiker natürlich mit Klaviermusik im Hintergrund, und als Aufnahme geschickt. Es ist eine Rede, die den Zuhörer mitnimmt auf eine Reise in sein Leben und in seine Welt, in seine eigene Geschichte, und gleichzeitig in die Welt und Geschichte der Musik und Literatur. Er erzählt von Buddy Holly, dem Rock n` Roll-Musiker, mit dem er sich in der Musik als junger Mann noch vor seiner Karriere so verwandt fühlte. Von dem Leadbelly Record mit dessen Song “Cottonfields“, das sein Leben veränderte und ihm eine ihm bisher unbekannte Welt der Musik zeigte. Er erzählt von der Zeit, in der er lernte, die Musik, die er liebte, zu verstehen: Ragtime blues, work songs, Georgia sea shanties, Appalachian ballads und cowboy songs. Er erzählt von den Geschichten, die er in der Grundschule kennengelernt hatte: Don Quichote, Ivanhoe, Robinson Crusoe, Gullivers Reisen, Tale of Two Cities – “I took all that with me when I started composing lyrics“. Er erzählt von den drei Werken, die ihn immer durch sein Leben begleiten: Moby Dick, Im Westen nichts Neues und die Odyssee. Er erzählt von der Faszination des Buches Moby Dick und stellt fest, dass wir nur die Oberfläche von Dingen sehen können. Wir könnten interpretieren, was darunterliegt, auf jede Weise, die wir meinen, dass sie passt. “Reading skulls and faces like you read a book. There`s a face. I`ll put it in front of you. Read it if you can“.
Von Homer bis Melville
Dieses Buch floss ein in seine Songs, genauso wie Im Westen nichts Neues: “ This is a book where you lose your childhood, your faith in a meaningful world, and your concern for individuals. (…) Once upon a time you were an innocent youth with big dreams about being a concert pianist. Once you loved life and the world, and now you’re shooting it to pieces.“ Er erzählt von all dem Schmerz und dem Tod in diesem Werk, von Leid und verlorenem Vertrauen und der Hölle. All dies in Du-Form. “ You’re being annihilated, and that leg of yours is bleeding too much. You killed a man yesterday, and you spoke to his corpse.“ Er drückt all dies aus, was ihn so beeindruckt, ihn so verzweifelt machte, und Weg in seine Songs fand. “ You’re so alone. Then a piece of shrapnel hits the side of your head and you’re dead. You’ve been ruled out, crossed out. “. Er habe dieses Buch niedergelegt und zugeschlagen. Er wolle nie wieder ein Kriegsbuch lesen, und er habe es auch nie wieder getan. Er erzählt von Odysseus und dessen Reisen, von dessen Abenteuern und den zwei Straßen, die dieser nehmen konnte, und beide waren schlecht. Er sieht darin eine Geschichte, die das Leben eines jeden Menschen verkörpert: “In a lot of ways, some of these same things have happened to you. (…) You too have come so far and have been so far blown back. (…) And you’ve also felt that ill wind, the one that blows you no good.“
Musik und Literatur
Er stellt fest, dass Musik bewegen muss, nicht verstanden werden muss:“ If a song moves you, that’s all that’s important. I don’t have to know what a song means. I’ve written all kinds of things into my songs. And I’m not going to worry about it – what it all means“. Er erzählt, dass diese Literatur ihn seine Musik beeinflusst hat. Und beantwortet so die Frage, die er sich selbst am Anfang der Rede stellt: Wie seine Songs mit Literatur verbunden sind. „But songs are unlike literature“, stellt er klar. Sie sollen gesungen werden, nicht gelesen, so Dylan. Und so bewegt seine Rede den Zuhörer, sie zieht ihn in seine Welt, in die Welt der Musik und in die Welt der Literatur. Sie zeigt, dass diese oft sehr eng zusammenhängen, auch wenn sie einander nicht ähnlich sind. Und sie zeigt, dass der Literaturnobelpreis mit seiner Musik tatsächlich auch Literatur auszeichnet, da sie oft die Grundlage, die Muse seiner Musik bildete, und er sie in seinen Songs lebendig werden ließ und neu interpretierte. Nicht nur Homer oder Hermann Melville, auch die Bibel, Ovid, Vergil, Shakespeare und Bertolt Brecht.
Bob Dylan haucht mit seiner Musik Worten Leben ein, erzählt mit ihr Geschichten, und schafft Kunst, mit Worten und Klängen, die den Weg in unsere Gedanken findet aber nicht wieder hinaus, und die der Menschheit hoffentlich nie verloren geht.
Autorin: Katharina Moser
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