1951 wurde die erste School of the Air in Alice Springs im Herzen Australiens gegründet. Auf 1,3 Millionen Quadratkilometern verteilt leben ihre Schüler, die auf entfernten Rinderfarmen, in Aboriginal Gemeinden oder Nationalparks tief im Outback aufwachsen und denen ein gewöhnlicher Schulbesuch unmöglich ist. Ein Gespräch mit Kerrie Russell, der Direktorin der ersten jemals gegründeten Schule, deren Schüler früher über Funk, heute über das Internet lernen.
Inzwischen ist die School of the Air in Australien nicht nur eine Bildungsmaßnahme, sondern auch ein nationales Alleinstellungsmerkmal und sogar Touristenattraktion. Wie wichtig ist sie wirklich in der australischen Bildungspolitik?
Auf der einen Seite ist es sehr wichtig – ohne die School of the Air hätten Kinder in den entfernten Regionen Australiens keinen guten Zugang zu Bildung. Gleichzeitig macht die sogenannte Distance Education nur einen kleinen Teil des Schulsystems aus. Nur ein kleiner prozentueller Anteil benötigt diese Form der Schulbildung. Sie ist insofern nicht deren wichtigstes Element.
Ist die Unterrichtsqualität dieselbe wie in den großen Städten der Ostküste?
Ja, das können wir ganz sicher sagen. Denn wenn die Schüler unsere Schule verlassen und auf die Highschool gehen, kommen sie gut zurecht. Zwar variiert das Schulsystem leicht von Bundesstaat zu Bundesstaat, aber es gibt ein australisches Curriculum, das auch für uns gilt. In der Regel schneiden unsere Schüler bei den finalen Prüfungen genauso gut ab wie an normalen Schulen.
Was braucht es, um Lehrer an der School of the Air zu sein?
Es ist eine normale staatliche Schule, man benötigt keine besonderen Qualifikationen in dem Sinne. Für die School of the Air müssen die Leute, denke ich, aber offen für ein neues Denken sein. Man muss die Verfahren eines normalen Unterrichts an die Situationen anpassen können. Eine bestimmte Einstellung zu seinem Beruf ist wichtig: Offen sein für Neues, neue Techniken ausprobieren… Man sollte Reisen mögen, denn unsere Lehrer besuchen einmal im Schuljahr alle ihre Schüler. Wir arbeiten auch besonders hart daran, gute Beziehungen zu unseren Schülern aufzubauen. Das ist sicherlich an jeder Schule wichtig, aber wenn man die Kinder nicht jeden Tag sieht, sollte man besonders engagiert sein, ein positives Verhältnis zu ihnen und ihren Familien aufzubauen. Man braucht also vielleicht kein besonderes Zertifikat – aber man sollte ein bestimmter Typ Mensch sein.
Haben Sie Schwierigkeiten, genug Lehrer zu finden?
Nein, an unserer Schule nicht. Viele Menschen sind begeistert, hier an der School of the Air Lehrer zu werden.
In Deutschland werden bis 2025 mehr als 26 000 Grundschullehrer fehlen. Könnten Sie sich vorstellen, dass in Ländern, in denen mehr und mehr Grundschulen auf dem Land geschlossen werden, ein System wie das der School of the Air sinnvoll sein könnte, auch wenn die Entfernungen nicht dieselben sind?
Oh ja, das denke ich; und gerade auch mit fortschreitender Technik glaube ich, dass das System von Distance Education in vielen verschiedenen Kontexten genutzt werden könnte, unabhängig davon, ob die Entfernungen tatsächlich so groß sind. Aber die Schüler brauchen in dieser Schulform immer jemanden Erwachsenen zuhause, der sie beim Lernen unterstützt. Es braucht Engagement von Seiten der Familien, und das ist nicht immer der Fall.
Wie wichtig ist die School of the Air gerade für Kinder aus Aboriginal Gemeinden?
Manche Kinder aus Aboriginal Gemeinden besuchen die School of the Air, vor allem auf der Highschool. Aber viele Aboriginal Gemeinden haben eine Schule vor Ort. Das ist wahrscheinlich das beste, wenn man Lehrer vor Ort hat. Aber manche Gemeinden haben keine Schulen oder keine weiterführenden Schulen, und viele Aboriginal Kinder gehen dann auf ein Internat. Aber es kommt verstärkt vor, dass sie Distance Education parallel in Anspruch nehmen.
Die letzten Jahre haben eine hohe Erfolgsquote der School of the Air gezeigt. Studien zeigten, dass viele Kinder ihre Heimatregion in Richtung der großen Städte an der Ostküste verlassen. Ist das nicht auch kritisch für eine lebhafte Outback-Kultur?
Ich glaube, dass für jeden, ob Aboriginal oder nicht, wichtig ist, verschiedene Gegenden zu sehen und seinen Horizont zu erweitern. Aber natürlich will man, dass die Leute wieder zurückkommen in die entfernteren Gegenden, man will nicht, dass sie sie für immer verlassen. Ich glaube, Distance Education bedeutet, dass man bleiben kann, oder auch nicht. Und viele junge Menschen gehen auf Internate. Nur sehr wenige machen ihre ganze Schullaufbahn über die Schools of the Air, das wird einfach ein bisschen schwierig. Sie eröffnet schlicht Optionen für junge Leute in diesen Regionen.
Sehen Sie denn eine Entwicklung, dass immer weniger Leute in solchen entfernten Regionen bleiben?
Ja, ich glaube schon. Zumindest, was die großen Rinderfarmen im Outback angeht, scheint es mir immer weniger Familien und Kinder zu geben als früher. Die Anzahl der Schüler bei uns in der Grundschule ist definitiv geringer als noch vor zehn Jahren.
Gibt es nicht diesen Zwiespalt, dass die School of the Air es einerseits den Kindern möglich macht, durch gute Bildung die Welt kennenzulernen, und sie auf der anderen Seite vielleicht anspornt, ihre Heimatregion zu verlassen?
Sehr viele von den Kindern, die von den Rinderfarmen stammen, wollen wieder zurückkehren. Selbst, wenn sie ihr Zuhause zunächst verlassen haben und auf ein Internat gegangen sind, nachdem sie auf der School of the Air waren, kommen viele zurück, weil sie die Lebensart im Outback lieben. Sie hatten die Möglichkeit, in den großen Städten zu leben, und kehren doch zurück. Viele der Kinder, die bei uns sind, haben Eltern, die ebenfalls auf der School of the Air waren.
Die Unterrichtsstunden laufen bei Ihnen fast ausschließlich digital ab. Werden die Schüler so besonders gut auf die digitale Welt vorbereitet?
Die Schüler erhalten zwar Unterricht über das Internet, aber wir schicken ihnen auch Papiermaterial. Sie sitzen nicht den ganzen Tag vor dem Computer, sondern vor allem auch am Schreibtisch und bearbeiten normale Aufgaben, schreiben und rechnen. Ich glaube schon, dass unsere Schüler besser vorbereitet sind als die anderer Schulen. Aber die Technologien ändern sich ständig, und wir können noch daran arbeiten.
Fehlt Kindern, die den größten Teil des Schuljahrs zuhause lernen, nicht eine wichtige Grundlage zum Erwerben sozialer Kompetenzen?
Ja, ich glaube, das ist auch der Grund, warum viele Kinder dann auf Internate gehen. Sie vermissen einfach auch den direkten ständigen Kontakt zu gleichaltrigen jungen Menschen. Aber wir sehen auch, dass Grundschüler, die die meiste Zeit über zuhause lernen, sehr gut zurechtkommen, wenn sie schließlich in der Stadt ihre Klassenkameraden treffen. Jedes Vierteljahr treffen sich alle Schüler für eine Woche und machen Aktivitäten zusammen. Unsere Schüler haben dabei überhaupt keine Probleme, mit anderen zurechtzukommen, sich abzuwechseln, in Gruppen zu arbeiten… Obwohl die Kinder viel Zeit ohne ihre Klassenkameraden verbringen, erlernen sie dennoch soziale Kompetenzen. Sie sehen und hören ja schließlich ihre Kameraden auch über das Internet, und erwerben durchaus Fähigkeiten wie freundlich und ermutigend zu sein und Rücksicht auf andere zu nehmen.
Es ist also nur ein Vorurteil, dass Schüler, die nicht physisch in einer Klasse sitzen, keine sozialen Fähigkeiten erwerben?
Ja! Es muss aber immer noch beigebracht werden. Hier spielt die Familie auch eine wichtige Rolle.
Also ein Gegenargument gegen die radikalen Vertreter der Gruppenarbeit in der Schule?
Ja – aber ich bin auch ein Fan von Gruppenarbeit (lacht).
Könnten Sie sich vorstellen, dass mit weiterer technischer Entwicklung die Schule der Zukunft für alle wie die School of the Air aussieht?
Ich weiß nicht – ich halte eine enge Beziehung zu seinen Lehrern für sehr wichtig. Alle Untersuchungen zeigen, dass das für einen erfolgreichen Lernprozess sehr wichtig ist. Wir an unserer Schule haben Glück, wir sind nur eine kleine Schule, und die Eltern achten sehr darauf, dass die Schüler ihre Schularbeiten machen. Wenn alle Schüler Distance Education hätten und ihre Lehrer nicht sehen würden, wäre es viel schwieriger. Es sind momentan nur wenige Menschen, und in gewisser Weise haben sie sich selbst auserlesen. Sie lieben das Leben in einsamen Gegenden, und somit glauben sie auch an Distance Education. Sie machen, was nötig ist, damit ihre Kinder lernen. Aber es gibt viele Menschen, die das nicht tun würden. Für sie ist es einfacher, ihre Kinder einfach morgens in der Schule abzusetzen und das einzig den Lehrern zu überlassen. Es würde also, glaube ich, einfach nicht funktionieren. Dennoch, es könnte sinnvoll als Parallelmaßnahme sein für einzelne Bereiche, die man in einer Schule vor Ort nicht lernen kann. Aber wie auch immer – wenn man die Möglichkeit hat, mit seinem Lehrer und seinen Klassenkameraden an einem Ort zu sein, wäre es das beste, das auch zu tun. Die School of the Air funktioniert nur im kleinen Stil und nur mit großem Engagement aller Beteiligten.
Autorin: Katharina Moser
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