Shahwan Borto (21) kam als jesidischer Flüchtling mit seiner Familie 2009 nach Köln. Dort absolvierte er als Stipendiat des renommierten START-Stipendiums sein Abitur. Während seiner Schulzeit initiierte er das Projekt „Spende Dein Pfand“, das mittlerweile bundesweit organisiert ist. Mit dieser Initiative erreicht Shahwan, dass Pflandflaschen in Schulen nicht mehr achtlos weggeworfen werden, sondern gesammelt und verkauft und mit dem Erlös soziale Einrichtungen unterstützt werden. Für dieses und sein weiteres gesellschaftliches Engagement „Lernen durch Engagement – Jugend für Jugend“ erhielt er zahlreiche Preise wie den HelferHerzen-Preis, den europaweiten Filippas-Engel-Preis, die Ehrenurkunde der Stadt Köln sowie den JugendHilft!-Preis. Shahwan studiert aktuell Jura an der Uni Bonn und wird von der Stiftung der deutschen Wirtschaft mit einem Stipendium unterstützt.
Lieber Shahwan, wie bist Du eigentlich auf die Idee gekommen, „Spende Dein Pfand“ zu initiieren?
Ich bin in Shingal (Nordirak) geboren und 2009 nach Deutschland gekommen. 2014 wurden unsere ehemaligen Wohnsiedlungen rund um Shingal vom sogenannten „Islamischen Staat“ angegriffen. Im Zuge des Völkermordes an den Jesiden durch den „Islamischen Staat“ wollte ich nicht tatenlos zuschauen, wie meine Nachbarinnen vergewaltigt, Männer enthauptet und Kinder zu Kindersoldaten gemacht werden, um gegen ihre eigenen Eltern zu kämpfen. Deshalb habe ich als Schülersprecher des Maximilian-Kolbe-Gymnasiums dann die „Spende Dein Pfand“-Initiative als Pilotprojekt eingeführt. Nach dem Abitur habe ich daraus dann eine bundesweite Initiative gebildet, um mehr Gelder zusammen zu bekommen. Die „Spende Dein Pfand“-Initiative stellt bundesweit Pfandboxen zur Pfandgewinnung auf. Schulen und Unternehmen allerorts sammeln auf diese Weise Flaschen, deren Erlös in unsere gemeinnützigen Kampagnen fließt. So verhindern wir, dass Plastikflaschen in den Müll oder in die Natur gelangen und der Umwelt schaden – gleichzeitig realisieren wir wohltätige Projekte in ganz Deutschland. Dadurch motivieren wir Menschen ganz einfach Gutes zu tun.
Wie viele Menschen hast Du schon damit erreicht?
Die Frage kann auf mehreren Ebenen beantwortet werden. Konkret wird „Spende Dein Pfand“ von Schülern in Deutschland organisiert und umgesetzt. Mein Team besteht aus elf aktiven Mitgliedern und einer großen Anzahl an Unterstützern in ganz Deutschland. Dabei haben wir uns in Form eines eingetragenen und gemeinnützigen Vereins organisiert. Mit dem Pfanderlös, der aus den Schulen und Unternehmen zusammen kommt, unterstützen wir zehn jesidische Mädchen, die in der Gefangenschaft der IS-Terroristen im Nordirak waren, bei der Wiederaufnahme ihres Studiums. Ebenso wollen wir 120 Mädchen in Togo vor der weiblichen Genitalverstümmelung schützen und sind hierzu eine Kooperation mit der Organisation (I)NTACT e. V. eingegangen. Wir legen somit mit beiden Kampagnen zur Förderung der Bildung einen Fokus auf Mädchen und Frauen, denn bis heute können 130 Millionen Frauen und Mädchen keine Schule besuchen. Dagegen wollen wir kämpfen. In Deutschland machen wir zur Einführung des Projektes an Schulen und Unternehmen auch auf den Umweltschutz aufmerksam.
Welche Tipps kannst Du Schülern und Studenten geben, die sich ähnlich engagieren möchten?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass alle guten Ideen mit einer Vision für die Zukunft beginnen. Wichtig ist, dass man sich die Frage stellt: „Was sollte anders sein?“. Hat man auf diese Frage eine Antwort, so hat man möglicherweise bereits eine Projektskizze in der Hand, die dann nur noch umgesetzt werden muss. Für die Umsetzung benötigt man natürlich ein Team, denn alleine ein Projekt zu organisieren, macht keinen Spaß und was keinen Spaß macht, hat auf Dauer keinen Erfolg. In einem Team macht das Engagement wesentlich mehr Spaß, denn vielleicht hat der eine besonders Freude daran, die Finanzen zu verwalten, der andere hingegen möchte sich gerne in den Bereichen der Öffentlichkeitsarbeit und Presse einbringen. So schafft man in kürzester Zeit mehr Erfolge. Dieses Team findet man während der Schulzeit in den Schüler- und an den Universitäten in den Studentenvertretungen. Hier bietet sich eine tolle Plattform an, um mit anderen engagierten Jugendlichen in Kontakt zu treten und sie von der eigenen Idee für die Zukunft zu begeistern, denn vielleicht identifizieren sich ja viele Menschen mit deiner Antwort auf die Frage, was in der Zukunft anders sein sollte.
In meinen Fall wollte und konnte ich nicht tatenlos zuschauen, wie meine ehemaligen Freunde, Mitmenschen und Familienmitglieder durch Terroristen bekämpft und getötet werden. So habe ich die „Spende Dein Pfand“-Initiative gestartet, um aktiv werden zu können. Das ist sicherlich ein drastisches Beispiel, aber genau hier beginnt unsere Aufgabe, nämlich Dinge anzupacken und im Kleinen wie im Großen zu verändern. Jede gute Idee hat die Chance gefördert zu werden. Ferner ist es natürlich unabdingbar, dass man Partner für sich gewinnt, die Jugendprojekte unterstützen. Ich empfehle anderen Jugendlichen die Organisationen „Think Big“ von der O2-Stiftung sowie „Jugend Hilft!“. Beide Organisationen fördern in unkonventioneller Weise Jugendprojekte und leisten so einen tollen Beitrag zur Förderung des Jugendengagements in Deutschland. Dabei fördern beide Organisationen überzeugende Projekte, sowohl ideell als auch finanziell. Die konkrete Antwort auf die Frage, was anders sein sollte oder oder was einen in der Welt stört, gewinnt mit einem engagierten Team und die Unterstützung durch „Think Big“ und „Jugend Hilft!“ eine tolle Chance, die Gesellschaft mitzugestalten und eigene Projekte erfolgreich in Deutschland umzusetzen. Später folgen dann noch größere Sponsoren und Partner oder vielleicht sogar auch Interviews mit den Autoren von „akomag“ …
Welche Motivation treibt Dich an und woher nimmst Du die Energie?
Mir ist es schon immer ein wichtiges Anliegen gewesen, dass ich aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft mitwirke. Dabei habe ich auch immer versucht, den Bezug zum Ausland herzustellen. Als Mensch, der weiß, was es bedeutet, auf Hilfe angewiesen zu sein un der Unterstützung erhalten hat, möchte ich anderen Menschen helfen, um etwas zurückzugeben. Denn meine Netzwerke, Erfolge, und mein Wissen sollen auch immer im Dienste der Allgemeinheit stehen. Primär treibt mich der Gedanke an, dass ich aus eigener Erfahrungen weiß, dass wir nicht nur an uns selbst denken dürfen. Denn wir haben tolle Möglichkeiten in Deutschland, etwas Großes aufzubauen, und man sollte diese Potentiale nicht unterschätzen.
Du hast schon viele Auszeichnungen für Dein Engagement erhalten. Ist Anerkennung wichtig?
Wichtig ist, dass man immer für andere Menschen arbeitet und nicht nur für sich selbst. Denn erst dann wird man Erfolg haben. Anerkennung dafür, dass man sich einbringt, ist sicherlich schön. Allerdings ist die größte Form der Anerkennung nicht gekennzeichnet durch Preise, schöne Reden oder pompöse Veranstaltungen, sondern durch die Tatsache, dass man weiß, dass man etwas bewirken kann und die Zielgruppe davon profitiert. Wenn wir zehn jesidischen Frauen den Zugang zur Universität ermöglichen, haben wir uns selbst einen großen Gefallen getan. Warum? Weil wir wissen, dass wir für etwas stehen und auch dafür kämpfen. Ich verstehe die mir überreichten Preise nicht nur als Anerkennung für Geleistetes, sondern auch als Verantwortung für die Zukunft
Welche Pläne hast Du für die Zukunft?
Spende Dein Pfand ging bis dato immer eine Kooperation bundesweit mit Schulen und Unternehmen unter der Bedingung ein, dass unsere Boxen von dem Partner entleert werden. Um aber eine größere Gruppe zu erreichen, möchten wir gerne einen eigenen Abholservice in Großstädten wie Köln, Hamburg und Berlin einrichten, um so mehr Partner für unsere Vision zu gewinnen. Um diesen Plan umzusetzen, versuchen wir aktuell weitere Partner zu gewinnen.
Dafür wünschen wir Dir viel Glück, weiterhin solchen Erfolg und in unserer Schule viele Nachahmer! Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Interview: Victor Abs
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