Spätestens, als John Proctor in voller Verzweiflung an den Bühnenrand tritt und mit bebender Stimme ruft, “Gott ist tot, Gott ist tot!“, hat man bei der Intensität der Inszenierung vergessen, wo man eigentlich ist: In der Oberkirche des Aloisiuskollegs im Oberstufentheater. Diesmal hat sich die engagierte Gruppe um den ebenso engagierten Lehrer Herrn Öngören, unterstützt vom Köln-Bonner Theaterschauspieler und -regisseur Marcel Höfs, mit “Hexenjagd“ von Arthur Miller an kein leichtes Stück herangewagt.
Das Drama entstand 1953 vor dem Hintergrund der politischen Krise in den USA der 1950er Jahre. In der britischen Kleinstadt Salem Ende des 17. Jahrhunderts werden eines Nachts Mädchen bei mysteriösen rituellen Tänzen ertappt. Einige von ihnen werden daraufhin plötzlich von unerklärlichen Krankheiten befallen, verstummen, haben Halluzinationen. Das versetzt die Stadt in große Angst. Man vermutet, die Mädchen hätten Teufelsanbetung betrieben, mit ihm einen Bund eingegangen und seien nun vom Teufel befallen. Doch die beschuldigten Mädchen drehen, um sich selbst zu schützen, den Spieß um, beschuldigen andere Bürger der Stadt der Teufelsanbetung. Ein Klima der Angst und des Misstrauens macht sich breit, und die haltlosen Anklagen verschonen niemanden. Schon bald muss jeder fürchten, der Nächste zu sein. Urteile werden vollzogen, Leute gehängt. Die Anführerin der Mädchen, Abigail Williams (Regina Hamacher), verfolgt dabei eigennützige Ziele: Sie will den verheirateten Bauern John Proctor (Ruben Kaiser), mit dem sie eine Affäre hatte, zurückerobern und dafür seine Frau Jennifer Proctor (Charlotte van Ackeren) ausschalten. Um die Strafe seiner Frau, die er noch immer liebt, zu verhindern, gesteht Proctor seinen Ehebruch vor Gericht und will es dadurch überzeugen, dass alle Anklagen durch die Mädchen nur eigennützige Lügen und Rachefeldzüge gegen persönliche Feinde seien. Doch um Strafen zu verhindern und das Gericht umzustimmen, ist es bereits zu spät.
Das Stück behandelt in großer Intensität Hetzerei und Verfolgung – und wie Angst und Rachsucht aus der Kontrolle geraten, bis sogar die unschuldigsten Bürger um ihr Leben fürchten müssen, und weder Klerus noch Justiz mehr die Entwicklungen aufhalten können oder sie gar verstärken. Eine Intensität der Emotionen und ein Blick in die Abgründe des Menschen, die nicht einfach auf der Theaterbühne umzusetzen sind. Eine Gesellschaft zu spielen, in der plötzlich jeder jedem zum Feind wird, in der jeder befürchtet, der Nächste zu sein, ist eine Herkulesaufgabe, erst recht für ein Schülertheater – die die Theatergruppe des AKOs in den drei Aufführungen am 26., 27., und 28. Januar 2018 jedoch meisterhaft umsetzt. Mit Bravur übermitteln die Hauptdarsteller, allen voran Ruben Kaiser als John Proctor, Verzweiflung, Wut, Angst. Sie nehmen den Zuschauer gefangen, fesseln ihn an das Stück und bringen ihm die Abgründe des Menschlichen, die lasterhaften Verstrickungen und die Macht außer Kontrolle geratener Anschuldigungen so nah, dass man bald glaubt, man befinde sich selbst im Stück, oder zumindest in einem professionellen Theater. Dies ist dabei angesichts der angenehm schlichten Bühneninszenierung allein der Kunst der Schauspieler zu verdanken. Star der Aufführung ist wohl unangefochten Ruben Kaiser, der mit meisterhafter Ausdrucksstärke und Tragik den verlorenen Mr. Proctor spielt. Aber ebenfalls überzeugend versucht Leo Roth als Pastor Hale, die Entwicklungen in der Stadt aufzuhalten, die Angeklagten zum Geständnis zu bewegen, das ihnen das Leben retten würde, und verkörpert lobenswert die ruhige, vernünftige, aber doch machtlose Rolle des Pastors. Auch Jennifer Proctor findet eine gute Darstellung durch Charlotte van Ackeren, und Luise Bewerunge spielt mit Tituba, der als erste der Teufelsbeschwörung Angeklagten, zwar nur eine Nebenrolle, aber doch genauso gut. Und Simon Petrat gelingt es in der Szene des betrunkenen Marshall Herrick, in all der Tragik das Publikum herzlich zum Lachen zu bringen. So entwickelt sich die Aufführung von einem nur mäßig guten und wegen der Eingangsmusik zum Tanz der Mädchen etwas befremdlichen Anfang, der zunächst wenig zu versprechen zu scheint, zu einer für ein Schülertheater packenden Leistung, die im herausragenden, höchst dramatischen Ende gipfelt. John Proctor lässt sich überreden, ein Geständnis abzugeben, um sein Leben zu retten. Als ihm jedoch klar wird, dass das Verrat an all den ebenfalls Unschuldigen wäre, die bei der Wahrheit blieben und dafür gehängt wurden, zerreißt er sein Geständnis und nimmt heroisch die Todesstrafe auf sich. Pastor Hale will Frau Proctor überreden, ihn doch aufzuhalten, aber sie weigert sich. Mister Proctor habe endlich seine Würde gefunden, und sie wolle sie ihm nicht nehmen.
Zwar brüllten die Schauspieler teils zu oft und zu laut, und ein Kritiker mag einige Szenen zu dramatisch und etwas überspitzt finden – es wird viel geweint und noch mehr geschrien. Das mag etwas übertrieben sein, aber so wird gleichzeitig auch ganz gut die Tragik der Geschichte deutlich. Und diese Tragik, die Verstrickung von Unschuldigen in verhängnisvolle und todbringende Anschuldigungen, blinde und von Vorurteilen bestimmte Richter, sich selbst schützende Egoisten auf persönlichen Rachefeldzügen, ist schließlich die Schlüsselemotion des Werkes. Es macht uns in erschreckender Deutlichkeit klar, wie sehr wir Menschen uns von Angst, von Vorurteilen und von den ungeprüften Aussagen anderer beeinflussen lassen, und zu welchen Taten das eine Gesellschaft bringt. Arthur Miller hält uns den Spiegel vor, formuliert eine Warnung, die heute noch immer genauso aktuell ist. Strömungen, Meinungen in der Gesellschaft nehmen Einfluss auf uns und können uns dazu bringen, die fruchtbarsten Dinge zu tun – und jeder versucht dann nur noch, sich selbst zu schützen, ohne Rücksicht auf andere und die Wahrheit.
Und als die Fetzen des Geständnisses auf die Bühne rieseln und Mrs. Proctor verzweifelt zusammenbricht, da bricht auch etwas im Zuschauer, den die Schauspieler gekonnt zum mitfühlen und mitleiden brachten.
Autor: Katharina Moser
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