Bitterer Hunger, blutige Kämpfe, kaum medizinische Versorgung, eine humanitäre Katastrophe. An welches Land denkt man dabei? Syrien? Sudan? Somalia? Oder vielleicht doch Afghanistan? Pakistan? Es gibt genug Länder, auf die das zutrifft, und die uns von den vielen grauenerregenden Bildern und Meldungen aus den Nachrichten bekannt vorkommen und viel Aufmerksamkeit in den Medien genießen. Doch dieses Mal reden wir von einem anderen Land, einem Staat, der als das Armenhaus der Welt bezeichnet wird und inzwischen von mehr als 90.000 Luftschlägen gebeutelt ist – und doch kaum beachtet und fast vergessen im Schatten anderer Staaten wie Syrien verschwindet: Der Jemen. Seit 2014 tobt dort ein Bürgerkrieg, der das Land völlig ins Chaos und seine Bewohner in höchste Not gestürzt hat.
Als ob der Jemen in seiner Geschichte nicht schon genug durchgemacht hätte. Seit dem siebten Jahrhundert unter islamischer Herrschaft, stand das Königreich Jemen stets unter wechselnder Führung verschiedenster hauptsächlich schiitischer Imamate und Dynastien. Auf den Zerfall des Jemen in Nord- und Südjemen im 19. Jahrhundert folgte eine Besetzung durch Großbritannien und das Osmanische Reich. 1967 war der Jemen endlich unabhängig, 1990 wurden Nord- und Südjemen unter dem ersten gesamtjemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Salih vereinigt. Doch schon vier Jahre später kam es zu einem blutigen Bürgerkrieg. Selbst nach dessen Beilegung gab es immer wieder Aufstände und Konflikte zwischen Regierung, Milizen, Stämmen und Rebellen.
Viele Interessen haben das Land gespalten
Im Zuge des arabischen Frühlings begannen 2011 auch im Jemen die Proteste gegen Gewalt und Korruption, für Sicherheit und Gleichberechtigung; Forderungen nach einer Revolution wurden laut. Heftige Debatten spalteten nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das Militär und die politischen Kräfte im Jemen. Präsident Salih wurde gestürzt und verlor seine politische Macht, und der Transitionsprozess sollte durch Wahlen und eine neue Verfassung in Gang gebracht werden. Eine Übergangsregierung wurde gewählt, und eine Nationale Dialogkonferenz (NDK) wurde gebildet. Doch neuerere Bewegungen wie die Huthi-Rebellen aus dem Norden oder auch die „Südliche Bewegung“, die die Spaltung des Südjemens vom Nordjemen forderte, wurden in politischen Fragen konsequent ausgeschlossen. Die politische Macht lag weiterhin in den Händen des alten Establishments. Doch da die Pläne der Übergangsregierung zur Verbesserung der Wirtschaft, zum Korruptionsabbau und Verbesserung der humanitären Lage nur leere Versprechungen blieben, verlor sie den Rückhalt in der Bevölkerung. Diese fand vielmehr an neueren gesellschaftlichen Bewegungen wie den Huthi-Rebellen, die schon seit 2004 im brennenden Konflikt gegen die Regierung stehen, Interesse. Im Konkurrenzkampf versuchten verschiedene Kräfte wie Huthi, Salih, und Regierungsparteien, weite Gebiete im Norden und deren Ressourcen durch Waffen in Besitz zu nehmen. Im Jemen herrschte Chaos.
Zwischen Rebellen, Iran und Saudi-Arabien
Die Huthis verbündeten sich 2014 mit dem gestürzten Präsidenten Salih. Im September desselben Jahres besetzte die Huthi/Salih-Allianz Jemens Hauptstadt Sanaa und zwang die Übergangsregierung zum Rücktritt, sodass eine neue Regierung unter Führung des Präsidenten Hadi gebildet werden musste. Doch die Huthis mischten sich mehr und mehr in das Regierungsgeschäft ein, bis der Konflikt zwischen ihnen und der Regierung zum Bürgerkrieg eskalierte. Die Regierung trat schließlich im Januar 2015 zurück und floh ins Exil nach Saudi-Arabien. Sie wird jedoch international noch immer anerkannt und hat sich inzwischen einen Sitz in der südlichen Hafenstadt Aden aufgebaut. Machtkämpfe toben nun im Land. Im März 2015 hatten die Huthis nun 9 von 21 Provinzen unter Kontrolle. Da sah sich der König von Saudi-Arabien zum Handeln gezwungen, denn er sah die Huthis als Gefolgsmänner seines Erzfeindes, des Irans, an. Es kam zur saudi-arabisch geführten Militärintervention. Auch die USA unterstützen die Regierung des Jemen im Kampf gegen die Huthis und Jordanien, Marokko und Pakistan beteiligen sich ebenfalls an der Offensive gegen die Huthis, um die politische Stabilität im Land wiederherzustellen. Doch vielfach steht der Vorwurf im Raum, internationale und nationale Kräfte würden mit zu wenig Ernsthaftigkeit und Energie die Unterstützung der jemenitischen Regierung und den Kampf gegen die Rebellen durchsetzen. Dem Iran hingegen wird vorgeworfen, die Huthi mit Waffen zu beliefern und auszubilden. Und nun? Es ist kaum ein Ende des Krieges in Sicht, trotz der Bemühungen der UNO. Saudi-Arabien will die Huthi kompromisslos unbedingt militärisch besiegt sehen, Präsident Hadi hat kein Interesse an erfolgreichen Verhandlungen aus Angst, sein Amt zu verlieren. Die Huthi/Salih-Allianz will die Hauptstadt nicht aufgeben und langfristig an der politischen Macht beteiligt werden.
Und selbst wenn der Konflikt gelöst werden würde, wären da noch immer der IS und AQAP, die das Land unsicher machen. Und wer leidet darunter? Bingo, die Zivilbevölkerung! Seit Beginn des Krieges wurden laut den UN 10.000 Zivilisten getötet, 1500 davon sind Kinder. Und mehr als 40.000 wurden verletzt, durch die vielen Luftangriffe, die den Jemen treffen und teilweise gezielte Attacken auf die zivile Infrastruktur sind. 2450 Kinder wurden durch Kriegsgewalt verstümmelt. Hinzu kommen die vielen Menschen, die unter Hunger und Krankheiten leiden. 19 der 26 Millionen Jemeniten benötigt humanitäre Hilfe, die Hälfte davon schwebt akut in Lebensgefahr. 462.000 Kinder sind mangelernährt. Und alle 10 Minuten stirbt ein Kind unter fünf Jahren an einer leicht behandelbaren Krankheit. Aber wo behandeln? 50% aller Gesundheitszentren sind außer Betrieb, es gibt kaum noch Medikamente und wenn zu himmelschreienden Preisen, viele Menschen bekommen schließlich kein Gehalt mehr. Kurz, vier von fünf Jemeniten brauchen unbedingt Hilfe. Außerdem gehen zwei Millionen Kinder nicht zur Schule, weil es zu gefährlich ist. Laut Unicef wurden schon 212 Schulen bombadiert, da teils zu recht vermutet wurde, dass in den Gebäuden Huthis ihre Kämpfer ausbilden. Manche müssen für ihre Familien arbeiten. Andere werden sogar rekrutiert. 1.572 minderjährige Jungen sollen im Jemen laut Unicef bis jetzt als Kindersoldaten kämpfen, zu 70% bei den Huthis. Der Jemen ist jetzt ein „Failed State“, ein Land ohne jegliche staatliche Strukturen. Außerdem wurden alle Medienhäuser geschlossen und oppositionelle Websites und Blogs gesperrt. Islamistische Terrororganisationen wie der IS und AQAP nutzen das Chaos im Land, um ihre Macht weiter auszubauen.
Eingeschlossen im eigenen Land
Und warum kümmert sich niemand darum? Das hat wahrscheinlich zwei simple Gründe: Erstens, die ganze Welt schaut auf Syrien. Es nimmt den Großteil der medialen Aufmerksamkeit ein während der Jemen schnell als dreizeilige Meldung mit Tippfehlern unten links in der Ecke auf der allerletzten Seite verschwindet. Zweitens, es betrifft uns einfach nicht. Keine Flüchtlingswellen, gar nichts. Das haben auch schon Politikanalysten und der Deutschlandfunk schon festgestellt. Die Jemeniten sind eingeschlossen. An der Grenze zu Saudi-Arabien hocken Scharfschützen, und es gibt ganz einfach keine zivile Transportverbindung mehr, weder übers Land noch übers Meer noch durch die Luft. Da haben wir`s ja gut und können uns schön zurücklehnen und brauchen nicht weiterzulesen. Uns braucht es auch nicht zu interessieren, wenn täglich Menschen, von aller Welt unbeachtet, sterben müssen, es hat ja keinen Einfluss auf uns – nicht wie der Krieg in Syrien.
Kurz vor einer Katastrophe
Aber vielleicht gibt ja es doch Menschen, die sich dafür interessieren. Denn die Jemeniten brauchen Hilfe, sonst droht eine Katastrophe. Nur 7% der internationalen Zusagen der UN sind bis jetzt realisiert worden. 2 Milliarden US-Dollar braucht der Jemen jetzt dringend zur Versorgung seiner Bevölkerung. Und Hilfsorganisationen schreien auf, denn die Spenden für den Jemen gehen dramatisch zurück. Auf eine Warnung des UN-Generalsekretärs António Guterres haben sich im April 2017 einige Länder zu finanzieller Hilfe bereiterklärt. Deutschland erhöht seine humanitäre Hilfe von 17 auf 50 Millionen Euro. Und die ist dringend nötig, um eine Katastrophe zu verhindern. Die Zukunft wird nun zeigen, was aus dem Jemen und seinem notleidenden Volk werden wird. Und jetzt ist es auch an uns, diese Zukunft mitzugestalten.
akomag | ausgabe sommer 2017 | autorin: katharina moser
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