Heutzutage gibt es immer mehr Menschen, die sich fragen, was die EU eigentlich für einen Nutzen für uns hat und was uns mit den anderen Ländern Europas verbindet. Dabei ist das eigentlich ganz klar: Es sind die europäischen Werte, die die einzelnen zunächst so unterschiedlichen Länder einen und miteinander verbinden.
1: Humanistisches Denken (lat. humanus – menschlich)
Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der das Bewusstsein für die Würde des Menschen sehr groß ist. Das war nicht immer so: Im Mittelalter herrschte das sogenannte theozentrische Weltbild vor, das heißt, dass Gott die zentrale Rolle in der Gesellschaft spielte. Heute steht das Wohlergehen jedes einzelnen Menschen im Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns.
2: Rationalität (lat. ratio – Vernunft, Verstand)
Als rational wird eine Einstellung bezeichnet, die nur von der Vernunft bestimmtes Denken und Handeln als richtig ansieht. Das heißt also, dass alle Aussagen vernünftig hinterfragt werden müssen und nicht zwingend richtig sind, nur weil sie von einer bestimmten Person oder Institution getätigt werden. Die Rationalität fordert vernunftgemäßes Hinterfragen und eigenständige, unabhängige Meinungsbildung.
3: Säkularität
Säkularität bedeutet, dass staatliche und religiöse Organisationen durch das Gesetz voneinander getrennt sind. Das ist wichtig, weil nur so jeder Mensch frei für sich entscheiden kann, welcher Religion er angehören möchte. Die Gesetze sind und gelten als menschengemacht und werden nicht als gottgegeben angenommen. Während etwas von Gott Gegebenes von den Gläubigen als vollständig und absolut richtig angesehen werden muss, können Gesetze in einem säkularisierten Staat besser hinterfragt, verändert und angepasst werden. Auch das war nicht immer so: Im Mittelalter wurde zum Beispiel in Anlehnung an die zehn Gebote auf Ehebruch die Todesstrafe verhängt, ein Strafmaß, das in unserer Gesellschaft heute nicht mehr vorstellbar wäre. Voraussetzung für die Säkularität ist die Rationalität, denn nur durch vernunftgemäßes Hinterfragen konnten als gottgegeben angenommene Ordnungen angezweifelt werden.
4: Rechtsstaatlichkeit
Ein Rechtsstaat ist ein Staat, bei dem die Handlungsfreiheit der Regierung durch das Gesetz begrenzt wird, um die Freiheit jedes einzelnen Menschen sicherzustellen. Die Rechtsstaatlichkeit stützt sich vor allem auf drei Prinzipien:
Grundrechte
Jedem Bürger stehen Grund- und Menschenrechte zu. Werden diese nicht beachtet, hat jeder das Recht, eine Anklage zu erheben. Das Gericht muss dann unabhängig über diese urteilen.
Gewaltenteilung
Gewaltenteilung bedeutet, dass die drei Staatsgewalten der Legislative, Exekutive und Judikative unabhängig voneinander sind. Die Legislative (lat. lex, Gesetz) ist die gesetzgebende Gewalt. In Deutschland beispielsweise ist das der Bundestag, der über neue Gesetze entscheidet. Die Exekutive (lat. exsequi, ausführen) ist die Staatsgewalt, die die Beschlüsse der Legislative umsetzt. Dafür sind zum Beispiel alle Verwaltungsämter und die Polizei zuständig. Die Judikative (lat. iudicare, Recht sprechen) ist, wie der Name schon sagt, die Recht sprechende Gewalt. Dazu zählen alle Gerichte, die in jedem Fall unabhängig urteilen müssen. Diese drei Staatsgewalten müssen voneinander getrennt sein, um sich gegenseitig zu kontrollieren und niemandem die Möglichkeit zu geben, zu viel Macht zu erhalten.
Berechenbarkeit staatlichen Handelns
Die Gesetze eines Rechtsstaats müssen für jeden zugänglich sein, sodass jeder die Möglichkeit hat, sich nach dem Gesetz zu richten. Damit ist das staatliche Handeln für jeden berechenbar und ersichtlich.
5: Demokratie (altgr., Herrschaft des Staatsvolkes)
Die Demokratie ist die Herrschaftsform, die vom Volk ausgeht. Eine Grundvoraussetzung dafür sind freie Regierungswahlen. Dabei ist besonders wichtig, dass jeder selbst entscheiden kann, wen er wählt. Um wählen zu können, muss es jedoch auch mindestens zwei Alternativen geben. Ebenso wichtig ist eine demokratische Verfassung, das heißt also, dass die drei Staatsgewalten getrennt voneinander sind und dem Mehrheitswillen gefolgt wird. Für eine ausgewogene Demokratie muss es auch eine Opposition geben, damit sich nicht stets eine einzige Partei durchsetzen kann.
6: Menschenrechte
Die Menschenrechte stellen einen Rückbezug zum humanistischen Denken dar: Sie bestätigen jedem Menschen, dass sein Wohlergehen oberstes Gebot ist. Die Menschenrechte sichern den Bürgern folgende Grundaspekte zu:
Alle Menschen besitzen das Recht auf Freiheit, wie zum Beispiel Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit. Außerdem ist jeder Mensch, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welcher Meinung,…, vor dem Gesetz gleich. Ein dritter Aspekt ist, dass alle Menschen das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard haben. Dazu gehören der Zugang zu Bildung und gesundheitlicher Versorgung.
Weitere Rechte garantieren den Menschen ein sicheres Leben. Wichtig ist jedoch, dass ein Recht nicht das andere einschränkt. So wäre es zum Beispiel ein Widerspruch, wenn man zugunsten der Religionsfreiheit die Gleichheit von Mann und Frau einschränkte.
Man sieht also, dass die sechs grundlegenden europäischen Werte für uns heute größtenteils selbstverständlich sind. Sie halten die EU zusammen und sind für ihre Bürger von Vorteil. Dennoch mussten sie im Laufe der Geschichte hart erarbeitet werden und für sie haben viele Menschen gekämpft. Auch heute noch ist nicht alles fehlerfrei. Und auch wir müssen uns stets fragen, ob wir im Sinne der europäischen Werte handeln, denn nur durch die Unterstützung jedes einzelnen können sie in die Realität umgesetzt und im Ganzen erhalten werden. Gerade die politischen Kräfte spielen aber auch eine wichtige Rolle in ihrer Erhaltung und Durchsetzung.
Oft gerät unsere Gesellschaft dabei in Debatten über das Verständnis der europäischen Werte. Widerspricht nicht zum Beispiel das Verschleierungsverbot, oder auch „Burkaverbot“, wie es in Frankreich seit 2011 gilt und auch in Deutschland immer wieder diskutiert wird, dem Menschengesetz der Religionsfreiheit? Aktuelle Situationen stellen die Werte immer wieder auf die Probe.
Die sechs europäischen Werte sind also nichts Selbstverständliches und wir müssen auch unser eigenes Handeln kritisch hinterfragen. Aber eines ist sicher: Sie machen die Grundhaltung der EU aus und haben einen hohen Wert in unserer Gesellschaft – für die Nationen und für jeden einzelnen.
Autorin: Juliette Lentze
Keine Kommentare