Es gibt inzwischen keinen mehr, der Songs wie “Legendary“ oder “Sanctuary“, die im vergangenen Jahr die europäischen Charts stürmten, nicht kennt. Die sechsköpfige Rock- und Popband Welshly Arms aus Cleveland, Ohio, hat trotz ihres jungen Alters seit 2012 mehr als nur einen Hit produziert. Ein Gespräch mit Frontmann Sam Getz über Musik, die zu Herzen geht, Heimat und Impeachment.
Eure jüngste Single “Learn to Let Go“ war ein großer Erfolg in den europäischen Radio-Charts. Was bedeutet dieser Song für Euch?
Dieser Song basiert auf Schwierigkeiten, die Freunde von mir und auch ich selbst zu dem Zeitpunkt hatten – sich zu viel um die Vergangenheit zu sorgen und diese Last mit sich herumzutragen. Und “Learn to Let Go“ handelt davon, die Vergangenheit loszulassen und all die Dinge, die dich daran hindern, nach vorne zu schauen. Zu diesem Zeitpunkt, war es wichtig, das zu sagen, auch zu mir selbst.
Ein Ratschlag für alle Menschen, die das Lied hören, oder mehr eine private Sache?
Auf keinen Fall etwas rein Privates. Das ist das Schöne an Musik, oder jeder Art von Kunst, dass der Künstler etwas über sich selbst aussagt, das gleichzeitig für so viele andere Menschen gilt. Man kann über etwas schreiben, in der Hoffnung, dass sich es auch andere zu Herzen nehmen können.
In Euren Songs vereint Ihr Alternative Rock, Pop, Blues und auch Gospel. War es ein bewusster Ehrgeiz, auf diese Weise einen eigenen, einzigartigen Musikstil zu schaffen?
Ich denke, es ist wichtig, Musik zu machen, die wir fühlen, von der wir uns inspiriert fühlen. Wir haben immer Soul und Rock `n Roll geliebt, und ich persönlich bin mit Blues und Blues Rock aufgewachsen. Und all das findet sich in unseren Songs zusammen. Es soll gar nicht anders sein. Ich möchte keine Musik machen, die ich mir nicht selber auch gern anhöre.
Denkst du, die Leute suchen dieses neue Mix, oder werden sie einfach in diese Art von Vibe, die ihr habt, hineingezogen?
Ich denke, Songs, Melodien und Texte können Menschen anziehen, ohne dass sie eigentlich die Band mögen wollen. Stil ist dabei immer nur eine Frage der lockeren Interpretation. Diese Blues-Rock-Soul-Musik ist einfach genau unser Style, und das reißt die Menschen mit.
Was denkst du, warum sind es gerade die Deutschen, die Eure Musik so sehr mögen, mehr noch als in den USA? Zufall?
(Lacht) Das weiß ich echt nicht, bisher habe ich noch keine Theorie darüber. Aber ich denke, du hast recht. Es war die deutsche Hörerschaft, von der wir wirklich die erste Aufmerksamkeit für den Song “Legendary “ bekamen. Und als wir hier die ersten Konzerte gespielt haben, waren wir erstaunt, wie viele Leute uns kannten und mitsangen.
Seid Ihr überrascht, dass es vor allem die hymnenartigen Songs wie “Legendary“ oder “Sanctuary“ sind, die am erfolgreichsten sind?
Bei diesen hymnischeren Songs scheinen die Leute wirklich reinzukommen in die Themen, und diese Melodien kann einfach jeder singen. Daher sind es vielleicht die Favoriten.
Möchtet Ihr bewusst Songs schreiben, die die Leute mitsingen können und zu denen man tanzen kann?
Ich denke, wir tendieren natürlicherweise zu solchen Songs. Und als eine Band mit so vielen Sängern, es sind fünf insgesamt, schaffen wir Melodien, die mit vielen Stimmen einfach am besten funktionieren. Das überträgt sich – das Publikum kann so einfach auch mitsingen.
Euer letztes Studioalbum hieß “No place is home“, und Ihr sagt, dass das viele Reisen, das Leben in einem Tourbus Euch manchmal verloren fühlen lässt. Wie wichtig ist der Begriff Heimat für Eure Band?
Er ist sehr wichtig. Jedes Mal, wenn wir in unsere Heimatstadt Cleveland zurückkehren, müssen wir uns erst einmal erden. Wir verbringen Zeit mit unseren Familien und Freunden. Und auch die Kultur Clevelands hat unseren Sound eindeutig geprägt, die Art und Weise, wie wir als Band zusammenspielen. Cleveland ist ein wichtiger Teil unserer Reisen und Routinen. Ich mag den Satz “No place is home“, denn ich glaube, dass Heimat nicht wirklich ein Ort ist. Heimat ist eine Mentalität. Heimat ist, was du daraus machst, und wo du es dir aufbaust. “No place ist home“ heißt, Heimat ist für uns nicht nur Cleveland, heute sind wir zuhause in Köln. Wir sind wie eine große Familie. Wir haben unsere Musik, unsere Instrumente, unsere Fans – und das ist heute Nacht unser Zuhause. Wir treten auf die Bühne, und das ist Heimat. Sie ist kein Ort, sie kommt mit uns.
Ihr habt das ganze Album von 2018 in einem alten Farmhaus in Cleveland produziert, das zu etwas wie Eurem Hauptquartier wurde. Ist das ein Versuch, einen festen Platz zu finden in diesem sprunghaften, bewegten Musikbusiness?
Ja, und es macht es auch schlicht einfacher für uns. Dieser Ort hat einen bestimmten Vibe. Du kommst dort an, und machst Musik. Wir haben bewusst dieses “Homie-Feeling“ aufgebaut. Aber es ist auch einfach praktisch, um effizient zu arbeiten, wenn man seine ganze Ausstattung direkt um sich herum hat.
Wie arbeitet Ihr denn? Wer hat die zentralen Ideen für die Songs?
Jeder Song ist anders. Einer von uns hat eine Idee, zum Beispiel für den Refrain, und trägt die in die Band. Jimmy, der Bassist, produziert die Songs letztendlich, und er spielt eine wichtige Rolle zu bestimmen, wie das schließlich alles zusammenkommt. Jeder gibt seinen Teil dazu, aber er baut letztlich alles zusammen.
Ist es manchmal schwer, bei sechs Bandmitgliedern ein Einverständnis zu finden?
Natürlich hat man mit sechs Leuten oft unterschiedliche Ideen. Aber was wir sehr gut können, ist, uns gegenseitig Respekt zu zollen. Wenn man an dem Part eines anderen Änderungsvorschläge macht, ist das nie deshalb, weil man ihm auf die Füße treten will. Jimmy hat das letzte Wort, und wir alle respektieren das. Dennoch arbeiten wir immer so lange an den Songs, bis jeder glücklich und überzeugt von dem ist, was wir machen.
Als Ihr das letzte Studioalbum produziert habt, sagtet Ihr, dass die Welt verrückter und verrückter wird. Welche Rolle spielen politische Entwicklungen für Eure Musik?
Daraus nehmen wir sehr viel Inspiration, sehr viel Energie. Momentan ist es wahnwitzig, was in der amerikanischen Politik läuft. Es sind spannende Zeiten, und ich denke, dass sich das auch nicht so schnell beheben lässt. Wahrscheinlich sind viele gelangweilt, Kommentare darüber zu hören, und ich denke, das System ist zerbrochen. Ich habe seit längerer Zeit nichts mehr politisch Motiviertes geschrieben. Aber in den Anfängen dieser Zeit hatten wir viele Songs, die ihren Ursprung dort hatten.
Denkst du, dass du noch weitere Gelegenheit für politische Inspiration bekommen wirst? Wird Trump impeached oder wiedergewählt?
(Lacht) Es ist sehr verrückt und sehr unvorhersehbar, und dadurch ist es schwer zu sagen, was passieren wird. Ich denke, Impeachment ist fast unmöglich, und es würde kurzfristig auch kaum etwas ändern, uns kaum helfen. Aber genauso läuft das politische System bei uns momentan: Von rechts nach links, zurück und vorwärts. Wir sind unzufrieden mit linker Politik, also schwenken wir extrem nach rechts. Und dann sind wir damit unzufrieden und schwenken wieder extrem nach links. Und so lange wir dieses Problem nicht lösen, nicht einen moderaten Denkansatz finden mit Menschen, die mit rechtem und linkem Denken klarkommen, werden wir weiter diesen verrückten Tanz machen.
Drückt Ihr mit eurer Musik eine Art amerikanische Identität aus?
Gute Frage. Ich denke, unsere Musik trägt ein Gefühl der Region in sich, aus der wir kommen – der Midwest, dieser ganz bestimmte Sound aus Detroit, Michigan, Ohio. Ich vermute, das spielt in unsere Musik genauso hinein wie auch die Art und Weise, wie wir aufwuchsen. Wir kommen aus einer Stadt von hart arbeitenden, unverwüstlichen Menschen. Diese Kultur steckt in unserer Musik, mehr noch als eine allgemeine amerikanische.
Wie ist Eure Band zustande gekommen? War das schon immer Euer Traum?
Wir haben alle als Kind Musik gemacht, und waren alle mal in unterschiedlichen Bands. Mikey, ich und Brett haben in der Highschool mal zusammengespielt, und Mikey, Jimmy und ich in einer weiteren Band. Die Welshly Arms haben wir 2013 gegründet, weil wir uns irgendwie alle wiedergetroffen haben. Wir haben uns in meinem Haus getroffen und eine Jam Session gestartet. Und es hat so Spaß gemacht, dass wir uns dann jede Woche verabredet haben. Und dann haben wir ein Jahr später Jon und Bri getroffen, und das war genau der Sound, den wir uns gewünscht haben. Es war mehr oder weniger Zufall, dass wir alle befreundet haben.
Wie wichtig ist es Euch, eure Musik live vor ein Publikum zu tragen?
Sehr wichtig. Wenn Leute nicht in unsere Shows kommen, werden sie nur diese paar Songs aus dem Radio kennen. Hoffentlich werden das in der Zukunft mehr sein, aber man versteht diese Songs im Radio auch viel besser, wenn man sie im Zusammenhang mit den anderen Werken sieht. Mehr als alles andere sind wir eine Live-Band, und unsere Show ist bewegter, als es eine Aufnahme kommunizieren kann. Die Leute können sehen, wie viel uns die Songs bedeuten, und wie viel dahinter steckt. Es gibt dieses Gefühl, eine Gemeinschaft zu sein, eins zu sein. Das ist sehr wichtig.
Was sind Eure Pläne für die Zukunft?
Momentan wollen wir einfach im Jahr 2020 ganz viele neue Songs veröffentlichen. Wir haben viel gearbeitet, waren viel im Studio. All diese Songs warten, und wir sind bereit, im Januar neue Singles herauszubringen.
Autorin: Katharina Moser
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