Vor wenigen Tagen ist ein neues Album von Eminem erschienen. Von den Medien wurde es bisher beinahe ausnahmslos in der Luft zerrissen. Schlechte Rezensionen sind hier fast schon genauso Tradition wie Eminems Geschimpfe über die Medien. Mangelnde Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Dass Music to Be Murdered By nicht an die früheren Legenden wie Eminem Show (2002) oder Recovery (2010) heranreichen kann, ist ebenso klar, wie es nicht zu erwarten war. Wenn man die jüngste Leistung des “Rap Gods“ jedoch nur an seinen vergangenen Alben misst, wird man hier nicht weit kommen.
Es scheint, als kommt man bei der Beurteilung des neuen Albums schneller in Grundsatzfragen, als dem meisten Musikjournalisten lieb ist. Ob Eminem noch immer den Titel des “Rap Gods“ verdient, ist nur eine davon. Viele stoßen sich daran, dass der US-amerikanische Rapper sich noch immer als den größten und besten unserer Zeit sieht und es dabei verpasst, sich selbst neu zu erfinden. Muss sich ein Rapper stets im Wandel befinden, um wieder und wieder seine Großartigkeit zu beweisen? So manche Zeitungen haben diese Frage in der letzten Woche klar mit ja beantwortet. Doch viel grundsätzlicher geht es hier um die Frage, ob ein Künstler tatsächlich in erster Linie deshalb Musik macht, um sich selbst zu beweisen. Unabhängig vom Gelingen dieses Selbstbeweises wird Eminems neues Album oft darauf reduziert. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Künstler selber gerne diesen Eindruck evoziert: If I am half as good as I was / I`m still twice as good as you`ll ever be. Dies klingt vor allem nach dem Wunsch, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass auch ein alternder Rapper noch immer alle Regeln der Qualität übertreffen kann.
Nimmt man das Album jedoch für sich, ist es schon schwieriger, es gänzlich zu kritisieren. Eminem scheint in der Medienlandschaft vor allem seine vergangene Leistung zum Verhängnis zu werden. Schon seit Revival (2017) spricht man eher von einem Künstler, der seine beste Zeit längst hinter sich hat. Umso wichtiger wird es jedoch daher, das Album einmal losgelöst zu betrachten. Es steht hierbei vor allem im Lichte einer besonders düsteren Atmosphäre: Mord, Verbrechen, psychische Abgründe. Hitchcock, den Eminem nicht nur auf dem Cover, sondern auch in den Stücken selbst wiederholt samplet, wird zum Aufhänger einer neuen Schicht des Hiphops, der den Zuhörer mit einem Kribbeln über den Rücken zurücklässt. Music to Be Murdered By ist in der Tat, und das schob Eminem selbst im Nachhinein auf Instagram als Erklärung vor, nichts für Zartbesaitete. Gerade die Songs Unaccomodating, der geschmacklose Bezüge zu dem Attentat auf ein Konzert Ariana Grandes in Manchester nimmt, und Darkness, der das Las Vegas-Attentat mit über fünfzig Toten aus der Sicht des Mörders schildert, lassen einen in dem unguten Gefühl zurück, dass das, was man hört und sieht, eigentlich nicht mit dem eigenen Gewissen und seinen Moralvorstellungen vereinbar ist. Auf Kosten der Angehörigen und Betroffenen der Attentate sollten niemals Witze gemacht werden, schon gar nicht zu PR- und kommerziellen Zwecken, und somit ist der Shitstorm in den sozialen Medien, der den Versen folgte, zumindest verständlich. Zur Beurteilung des Albums kann dies jedoch nicht der einzige Faktor sein. Es erscheint notwendig, es zur Abwechslung einmal vor dem stilistischen Hintergrund des Hiphop zu betrachten, in dem Waffengerassel, anstößige Kommentare und polarisierende Statements nie fern waren. Das Wesen des Hiphops mag Geschmacklosigkeiten nicht entschuldigen, aber es mahnt uns auch, Musik nicht, wie es in letzter Zeit gerne getan wird, ein moralisches Muster aufzuerlegen. Die Nähe des Hiphop zu politischer Unkorrektheit liegt in seiner Natur, sie macht das Gesagte nicht richtiger und besser, aber sie zeigt uns, dass wir Hiphop nicht nur vor dem Hintergrund von Moralvorstellungen und Tabueinhaltungen bemessen dürfen. Ginge es danach, müsste man nahezu alle Alben des Rap, von Dr. Dre über Ice Cube hin zu Snoop Dogg und Tupac, als schlecht abtun. Dass das keiner getan hat, stellt die Frage, warum Music To Be Murdered By so rigoros von medialen Institutionen abgelehnt wird.
Mit zwanzig Songs und Gastauftritten von Juice Wrld bis zu Ed Sheeran ist das Album genauso vielfältig wie kreativ und sprachlich und technisch rangiert die Leistung noch immer in der Spitzenklasse. So Eminem-typisch manche Themen gewohnterweise sind, legt der Rapper auch erstaunlich psychologischen Tiefgang an den Tag. Als ein Meister seines Genres verwischt er in Darkness die Grenzen seiner eigenen Persönlichkeit und der des Attentäters, Identität und Charakter verschwimmen. Was manche als Versuch werten, den Täter als bedauernswertes Opfer darzustellen, erscheint vielmehr wie ein Fingerzeig auf die Abgründe im Menschen. Eminem befindet sich wieder und wieder zwischen gegensätzlichen Polen, verkörpert gesellschaftliche Paradoxa, manchmal werden Motivation und Gedanken unnachvollziehbar und diffus. Mit zahlreichen Portionen von Unanständigkeit und Diss bewegt sich der Künstler in einem Spannungsfeld zwischen Selbstbewusstsein und Nachdenklichkeit, Hass, Verbrechen und Reue, Großmäuligkeit und Zweifel. Zwar weit entfernt von der populären Genialität der früheren Alben, und erst recht von der Möglichkeit zu breiter gesellschaftlicher Akzeptanz, aber genauso auch nicht nur technisch, sondern auch in psychologischer Hinsicht zumindest stückweise meisterlich. Music to Be Murdered By ist ganz sicher nicht tauglich zu totaler moralischer Zustimmung, und auch die gerngesehene politische Aussagekraft hält sich in Grenzen, wenn man von der – dafür sehr überzeugenden – Forderung zur Verschärfung der Waffengesetze absieht und vor allem auch das genug vorhandene Revolverklicken berücksichtigt. Aber es gibt einen tiefen Einblick in die Seele nicht nur des Künstlers selbst, sondern vor allem auch in eine düstere, morbide, zerrissene und vor allem anzweifelbare Seite des Menschlichen. Politisch unkorrekt, zuweilen gar unmoralisch, ja. Aber auch mit Potenzial, als ein weiteres Glanzstück zu gelten und unter den Fans großen Erfolg zu erlangen. So nachvollziehbar die Kritik der institutionellen Öffentlichkeit ist, so wenig kann sie als alleiniges Bewertungskriterium der Kunst herhalten. Eine empörte Reaktion der medialen Institutionen und politischen Öffentlichkeit ist eben auch ein Charakteristikum des Rap und zeigt vielleicht gerade doch, dass Eminem sich neu erfinden kann, so wenig es vielen auch gefällt: Nicht im belächelnden Rampenlicht der Popularität und Mainstream-Akzeptanz stehen zu bleiben, sondern immer wieder auszubrechen aus der eigenen Konformität.
Autorin: Katharina Moser