„Die letzten Wochen waren wirklich furchtbar.“, sagt der stadtweit bekannte Würstchen- und Crêpe-Verkäufer Rüdiger Brauer. Er steht mit seinem rot lackierten Stand, der „Heißen Hütte“, auf dem Theaterplatz in Bad Godesberg. Es duftet nach Bratwurst – gerade erst hat er einem älteren Mann eine Wurst verkauft. Rüdiger ist 51 Jahre alt – „noch“, wie er schmunzelnd hinzufügt. Er lächelt, hält eine Zange in seiner linken Hand und winkt immer wieder Passanten zu – seine Kundschaft ist in Bonn groß. Man kennt ihn hier. In den letzten Monaten habe sich aber vieles verändert: Corona hat ihn und seine Kollegen hart getroffen – die Maßnahmen der Bundesregierung seien hier bei weitem nicht ausreichend, die Lage der Schausteller in ganz Deutschland prekär und die Hilfen ungenügend. Viel gibt es zu beklagen.
„Trotz allem bin ich dankbar, dass ich hier stehen darf.“ Auch wenn die vielen regionalen Veranstaltungen fehlen, die schließlich eine gute Einnahmequelle sind, freut er sich, dass er auch in der Krise weiter seine Crêpes und Würstchen anbieten kann. Das bestätigten auch seine Kunden: „Es gibt Leute, die sich bedankt haben, dass ich hier war, dass ich wirklich geöffnet hatte im Shutdown. Dass ich für sie da war.“ Er habe viel Dank, aber auch die Schattenseite erfahren: Es gäbe Leute, die „total nörgelig sind“, die aus Angst vor Corona nicht mehr bei ihm essen würden. Andere, die nur streiten wollten. „Es gibt Leute, die mich fragen, wie oft ich mir die Hände wasche oder die andere Kunden kritisieren, dass sie nicht den Mindestabstand einhalten.“ Alles Dinge, die er in den fast 30 Jahren, in denen er schon in Bonn unterwegs ist, noch nie erlebt hat.
„Man bekommt hier am Stand alles mit“ – von Merkel-Unterstützern bis hin zu Leuten, die sie am liebsten vor Gericht sehen wollten. Einige seiner Kunden versuchten sogar, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Dabei äfft er einen solchen Kunden nach, beugt sich leicht vor und stemmt die Hände in die Hüften: „Das ist doch unmöglich! Corona gibt es doch gar nicht! Sie glauben doch auch nicht daran, ne?“ Auf so etwas kann er nur diplomatisch antworten. Die „Heiße Hütte“ sei kein Ort für Streit, auch wenn die Atmosphäre immer negativer werde, versucht er stets „mit einem charmanten Zwinkern“ auf derartige Gespräche zu reagieren – manchmal sei ein Themenwechsel die einzige Möglichkeit, sagt er achselzuckend.
Auf die Situation der Schausteller in Deutschland angesprochen verdunkelt sich jedoch sein Blick. Bei diesem Thema schaut er in den Himmel, als würde er versuchen, dort die Antworten zu finden. Er wundert sich vor allem über die Ungleichbehandlung seitens der Politik. „Man muss sich schon fragen, warum es diese Ungerechtigkeit gibt!“ So müsse man nicht erst nach Mallorca schauen, wo auf den vollen Strandpromenaden Remmidemmi herrsche. Rüdiger sieht diese Ungerechtigkeit vielmehr in der unmittelbaren Umgebung. Seine Stimme wird jetzt schneller, er ist aufgeregt. Er fragt sich, warum die Leute in Köln dicht an dicht ohne Maske shoppen gehen, aber kein Volksfest mit klarem Sicherheitskonzept, Maske und Desinfektionsmittel veranstaltet werden könne. „Das finde ich ungerecht. Warum ist unser Beruf, unsere Branche so hart getroffen, warum hilft man uns nicht?“ Manch einer sähe die Corona-Zeit ja sogar als tolle Möglichkeit, das Tempo für kurze Zeit aus dem Alltag rauszunehmen. Rüdiger sieht das anders: „Überall hört man ‚Entschleunigung, wie toll, das ist ja eine Chance für uns!‘ – Nee, für mich ist das keine Chance!“.
Der Deutsche Schaustellerbund sieht das ähnlich. 9.750 lokale Feste gibt es in Deutschland, die jährlich um die 350 Millionen Besucher anziehen. Der Umsatz liegt dementsprechend hoch: Fast sechs Milliarden Euro spülen die Feste in die Kassen der Schausteller und anderer Beteiligter. Ein prominentes Beispiel für die Folgen der Corona-Krise für die Branche der Schausteller ist die Absage des bayerischen Oktoberfestes; mit mehr als 6 Millionen Besucher sind die „Wies’n“ ein großer Wirtschaftsfaktor – gut 5000 Familienbetriebe müssen nun aber um ihre Existenz bangen. Ohne Einnahmen sieht man hier der Zukunft ängstlich entgegen. Aber neben der Angst macht sich auch Wut breit: Der Schaustellerbund spricht von einer „Abqualifizierung unserer Volksfeste“. In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigt man sich empört. Diese Politik sei verletzend – und hochgefährlich, wie ein bayerischer Schausteller mahnt „Ohne Hilfen können wir (…) nicht überleben“. Eine jahrhundertelange Tradition laufe stark in Gefahr durch die Corona-Krise auszusterben.
Besonders die näher rückende Weihnachtszeit versetzt Rüdiger in große Besorgnis. Während er davon spricht, verdunkelt sich nicht nur sein Blick, sondern auch der Himmel über dem Theaterplatz in Bad Godesberg. Weihnachtsmärkte machen für viele seiner Kollegen 30 – 50% des jährlichen Umsatzes aus. Wenn die wegfallen, könnte das katastrophale und existentielle Folgen haben. Sorgenvoll verfolge er die Nachrichten, in denen berichtet wird, dass immer mehr Großstädte ihre Märkte absagen. In Bonn wartet man noch auf Rückmeldungen von der Landesregierung. Noch hofft Rüdiger, dass er und seine Kollegen auch in dieser schwierigen Zeit ihre Stände und Buden aufbauen können. So oder so werde es aber ein anderer Weihnachtsmarkt werden, als die Jahre davor. „Wir haben normalerweise an die 200 Stände in Bonn; das ist absolut undenkbar momentan. Und das macht mir große Sorgen.“
Während des Schreibens dieses Artikels erreichte uns die Nachricht, dass die Weihnachtsmärkte in Bonn – so wie in vielen anderen Städten Deutschlands auch – abgesagt werden. Die immer weiter steigende Zahl der an Corona-Infizierten habe zu diesem „harten“ Schritt geführt. Man habe keine Alternative finden können.
Weitaus fataler aber wären die Folgen eines möglichen zweiten Lockdowns: „Das wäre eine absolute Katastrophe. Das wäre der absolute Supergau.“ Er würde sich dann wieder in sein „Schneckenhaus“ verziehen, meint er ironisch. Ein solcher Lockdown wäre aber nicht nur für seine Branche der „Todesstoß“. Die gesamte Wirtschaft wäre dann am Boden, denn auch wenn es wenige Gewinner gäbe, wäre die Zahl derer, die verlieren würde, die große Mehrheit. Rüdiger sorgt sich aber auch um seine Kundschaft. „Die wären auch furchtbar traurig. Die haben eine Riesenangst vor einem zweiten Lockdown.“
Bei alledem weiß Rüdiger aber auch noch zu lachen und so hellt sich sein Gesicht auf, als er von einer der vielen komischen, ja bizarren Begegnungen der letzten Monate erzählt. Er lächelt, grüßt wieder vorbeilaufende Kunden und erinnert sich: „Also, es kam ein Mann mit einer Gasmaske an – mit einer richtigen Gasmaske, wie Du sie aus dem Zweiten Weltkrieg kennst. Kein Scherz!“. Die Umstehenden hätten nicht schlecht gestaunt und Rüdiger selbst habe sich ein Lachen nur schwer verkneifen können. Als er dann erzählt, wie der Mann versucht habe, eine Bratwurst zu bestellen, muss Rüdiger herzhaft lachen. Da der Mann durch die Maske nur ein Brummen von sich geben konnte, habe man sich schließlich durch Handzeichen, Blicke und starke Gestik verständigt. Die Frage, wie der Mann die Bratwurst mit der Gasmaske essen wollte, blieb für die Umstehenden und ihn ein ungelöstes Rätsel. Er lief mit der Bratwurst in der Hand und der Maske im Gesicht davon. „Alle haben ihm nachgeschaut – das war wirklich das Bizarrste, was ich erlebt habe.“
Das Thema Maske ist mittlerweile an seinem Stand an der Tagesordnung: „Das habe ich jeden Tag hier.“ Leute, die sich weigerten sie zu tragen und dann zu diskutieren anfangen. Dabei hört er viele verrückte Kommentare, denen er widerspricht. Es gäbe aber auch Momente, in denen er sich selbst ertappen würde, wie Zweifel in ihm aufkommen. Nicht am Corona-Virus selbst, sondern an der Sinnhaftigkeit mancher Maßnahmen. „Zweifel gibt es allemal.“ Insgesamt zeigt er sich aber zufrieden, wie Deutschland durch die Krise bisher gekommen sei. „Wenn wir in Deutschland ‚nur‘ circa 9.200 Tote haben, dann muss ja alles ziemlich gut gelaufen sein.“ Im Vergleich mit den USA sähe es hier ja geradezu gut aus. Wer sich das vergegenwärtige, der würde schnell merken, dass man nicht alles falsch gemacht haben könne.
Mittlerweile ist die Bad Godesberger Innenstadt leerer geworden, der Theaterplatz ist ruhiger und auch Rüdiger wirkt jetzt entspannter. Ein weiterer Arbeitstag in Zeiten von Corona neigt sich dem Ende. Er hofft auf einen baldigen Impfstoff, den man schnell flächendeckend den Menschen verabreichen könne. Auch wenn er befürchtet, dass das noch lange dauert, verliert er dabei nicht seinen für das Rheinland so typischen Optimismus und die freundliche Art: „Normalerweise liebe ich meinen Beruf – nein, ich liebe ihn auch jetzt noch. Es fehlt mir aber der direkte Kontakt zu den Menschen.“
Autor: Victor Abs
Markus
•4 Jahren ago
Ein sehr schöner Artikel! Herr Brauer hat wirklich Recht: Es gibt hier mehr Verlierer als Gewinner; genau das hat dieser Text gezeigt – es lohnt sich, die Zeit zum Lesen zu nehmen 🙂
Herbert B.
•4 Jahren ago
Ich drücke Ihnen die Daumen, Herr Brauer! Sie haben einen tollen Stand.
Julia
•4 Jahren ago
Ich hoffe, er kann wieder öffnen, wenn wir wieder in die Schule gehen – wo sollen wir sonst in der Mittagspause essen? ?