Es ist der 25. September 2001, als ein schlanker Mann in den späten 40ern vor dem deutschen Bundestag eine Rede hält. „Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Meine sehr geehrten Damen und Herren“, begrüßt der Mann die Bundestagsabgeordneten. Nachdem er sich für die Gelegenheit im Bundestag sprechen zu können bedankt hat, fährt er fort: „Es ist das erste mal in der Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, dass ein russisches Staatsoberhaupt in diesem Hohen Hause auftritt. Ich bin gerührt, dass ich über die deutsch-russischen Beziehungen sprechen kann, über die Entwicklung meines Landes, sowie des vereinigten Europas und über die Probleme der internationalen Sicherheit (…)“. Der Mann vorne am Rednerpult ist der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin in seiner ersten Amtszeit.
Nach einer Weile erklärt Putin auf russisch, dass er den restlichen Teil seiner Rede auf deutsch halten werde. Putin macht eine Pause, trinkt einen Schluck Wasser und erntet den Applaus der deutschen Bundestagsabgeordneten. „Sehr geehrte Damen und Herren“, fährt der russische Präsident nun auf deutsch fort. Putin führt bereits seit zwei Jahren einen blutigen Krieg in Tschetschenien. Er spricht von „religiösen Fanatikern“, womit er bei den Abgeordneten einen wunden Punkt treffen dürfte: der Anschlag auf das World Trade Center in den USA ist keinen Monat her. Putin stellt sich nicht nur als Kämpfer gegen „religiöse Fanatiker“, sondern auch als tolerant dar. Er habe sich schließlich vor seiner Abfahrt mit muslimischen Geistlichen getroffen, welche eine Konferenz unter dem Namen ,,Islam gegen Terror“ ins Leben gerufen hätten. Diese Konferenz fände nun in Moskau statt. Doch will Putin wirklich nur den Terror in Russland und Tschetschenien bekämpfen, oder nutzt er diesen nur als Vorwand, um Tschetschenien, welches 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt hatte, wieder in sein Großreich einzuordnen? Kritik oder Zweifel am russischen Staatsoberhaupt wird jedenfalls nicht geäußert. Am Ende seiner Rede stellt sich Putin als Reformer dar. „Wir sind natürlich am Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft“, behauptet der russische Staatsmann. Auch hierfür gibt es wieder Applaus von den Rängen der Bundestagsabgeordneten. Putin hat auf jeden Fall einen guten Eindruck hinterlassen. Aber kann man ihm glauben? Möchte er wirklich die Demokratie in Russland vorantreiben? Und wie ist sein Verhältnis zu Europa? Laut Putin ist Russland „ein freundlich gesinntes europäisches Land“, dessen Hauptziel der stabile frieden auf dem Kontinent sei. Schon damals begrüßt Putin die niedrige militärische Konzentration im Baltikum und Mitteleuropa. Sie würde zu mehr Sicherheit in Europa und zu einem besseren Verhälnitniss mit Russland führen. Putin, so scheint an jenem 25. September 2001, ist eine andere Persönlichkeit als heute. Oder? Nun stellt man sich die Frage: Wie viel von dem heutigen Putin steckte damals in dem noch neuen russischen Präsidenten?
Warnende Stimmen gab es jedenfalls schon früh genug. So bezeichnete der frühere ZDF-Russlandkorrespondent Dietmar Schumann Putin bereits im Mai 2001 als Kriegsverbrecher. Fast ein Jahr vorher im April 2000 hatte Schumann die Dokumentation „Der Engel von Grosny“ gedreht. In dieser Dokumentation ging es um die Frau Chadyschat Gatajewa, welche Kindern aus dem ehemaligen Kriegsgebiet Tschetschenien zur Flucht verholfen hatte. In der Dokumentation wurden die Ausmaße Putins Tschetschenienkrieges für die dort ansässige Bevölkerung verdeutlicht. Putin welcher laut seiner Aussagen lediglich den Terrorismus bekämpfen wollte, terrorisierte mit seiner Armee die tschetschenische Zivilbevölkerung. Ähnlich wie heute in der Ukraine zerstörten russische Waffen tschetschenische Familienhäuser und Wohnungen. Putin führte also nicht nur gegen religiöse Fanatiker in Tschetschenien sondern auch, beziehungsweise vor allem gegen Tschetschenien als Staat einen Krieg. Der tatsächliche Kriegsgrund: Er wollte Tschetschenien wieder in Russland integrieren, oder zumindest kontrollieren, um seinen Machtbereich auszudehnen. Heute ist Tschetschenien ein eigener Staat, welcher allerdings wirtschaftlich und politisch stark von Russland abhängig ist. Über dies ist Tschetschenien Mitglied der russischen Föderation.
Dietmar Schumann schrieb in seinem Aritikel „Wie ich Putin traf und er mir das fürchten lernte“, dass er bereits in seiner Zeit als ZDF-Russlandkorrespondent versucht hatte deutsche Politiker, wie unter anderem Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Angela Merkel vor dem „Giftzwerg“ Putin mit „Appetit auf fremde Territorien“ zu warnen. Allerdings schienen diesen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wichtiger zu sein als Putins Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, seine Unterdrückung der Opposition und der Meinungsfreiheit, oder später die Besatzung der Krim. Der russische Präsident gab sich nach außen stets bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen, aber manchmal bröckelte diese Fassade. Nach dem Untergang des Atom-Unterseebootes „Kursk“ besuchte Putin am 22. August 2000 Widjajewo einen russischen Flottenstützpunkt. Er behauptete, dass er, nachdem er von dem Unglück gehört hatte, sofort Rettungsmaßnahmen eingeleitet und Hilfe aus dem Ausland angefordert habe. In Wirklichkeit befand sich der russische Präsident zur Zeit des Unglücks aber im Urlaub in Sotschi und hatte Hilfe aus dem Ausland abgelehnt. Die Frau eines ertrunkenen Marineleutnants fragte, warum er als Oberkommandant der russischen Streitkräfte, anstatt sich um eine Rettung zu bemühen, in Sotschi in der Sonne lag. Putin verlor daraufhin die Fassung und sagte der Frau, sie solle „ihre Schnauze halten“.
Putin welcher sich dem deutschen Bundestag an jenem September 2001 als politischer Reformer, Friedensmensch und lediglich als Bekämpfer religiösen Fundamentalismuses dargestellt hatte, war schon damals ein Diktator, dessen größtes Ziel seine Machterweiterung war und ist, wobei er sowohl vor der Unterdrückung der Meinungsfreiheit als auch vor menschen- und völkerrechtsverletzenden Kriegen nie zurück schreckte. Zudem scheinen ihm Menschenleben wenig zu bedeuten, aber inwiefern liegt die Schuld bei uns? Hätte der Westen schon viel früher Putin Einhalt gebieten müssen? Haben wir zu lange weggesehen? Hätten wir mehr auf Putin eingehen sollen?
Der ehemalige russische Oppositionsführer Wladimir Alexandrowitsch Ryschkow warnte 2015 Journalisten vom ZDF vor Putins Träumen, Europa neu aufzuteilen. Laut Ryschkow denke Putin dabei in den Kategorien des 19. Jahrhunderts. Die von Putin erhoffte Neuordnung wäre ihm am liebsten in einer Neuauflegung des Wiener Kongresses. Falls ein solcher Kongress nicht zu Stande käme, würde Putin nach dem folgenden Muster verfahren: Unruhen in den Gebieten schüren, Soldaten schicken um „neue Russen“ vor einem „Genozid“ zu schützen und am Ende russische Pässe verteilen. Dieses Muster passt zu Putins Verhalten bei der Besetzung der Krim, bezüglich des Ukraine-Krieges und zum Anschlag auf die Sendemasten in der Republik Moldau. Wobei man bei lezterem noch nicht sagen kann, wer für diese Tat verantwortlich ist. Beim Kaukasuskrieg im Jahre 2008 stellte sich Russland ähnlich wie bei der Unterstützung prorussischer Milizen im Donbass auf die Seite der von Georgien abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien. Allerdings schafften es Ryschkows Warnungen nicht in das deutsche Fernsehen. Die Dokumentation „Putins Kampf um Europa“ war zwar gedreht worden, aber wurde nicht ausgestrahlt. Die Begründung: Das Thema sei nicht aktuell, allerdings war zu diesem Zeitpunkt Russlands Eintritt in den Syrienkrieg aktuell. Viele Stimmen setzten schon damals den Syrienkrieg in einen Zusammenhang mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Russlands Militäreinsatz in Syrien habe lediglich als Ablenkung des Krieges in der Ukraine gedient, um die so entstandene internationale Isolation Russlands aufzuheben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bereits vor Russlands Angriff auf die Ukraine viele Zeichen auf Putins wahre Gesinnungen und Bestrebungen gegeben hat. Das Putin nicht der politische Reformer ist, den er am 25. September 2001 vorgegeben hatte zu sein, sondern ein absoluter Machtmensch, hätte man bereits am Tschetschenienkrieg sehen können. 2004 hielt Gerhard Schröder Putin noch für einen lupenreinen Demokraten. 2006 starb die Journalistin Anna Politkowskaja im Aufzug ihres Wohnhauses durch mehrere Schüsse. Sie hatte unter anderem entgegen der russischen Propaganda über Kriegsverbrechen in Tschetschenien berichtet. Vor ihrem Tod hatte sie bereits 2001 Morddrohungen bekommen, wurde 2002 in Tschetschenien vom russischen Militär kurzzeitig verhaftet und berichtete 2004 Opfer eines Giftanschlags gewesen zu sein. Leider ist Politkowskaja kein Einzelfall. Aktueller ist die Inhaftierung des russischen Opositionellen Alexei Nawalny. Die größte Lüge, die Putin dem Bundestag 2001 aufgetischt hat, ist allerdings, dass sein Hauptziel der Frieden auf dem europäischen Kontinent sei. Diese Aussage konnte man bereits aus damaliger Sicht als falsch bezeichnen. Putin schreckte bereits im zweiten Tschetschenien Krieg keines Wegs davor zurück, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren, genau wie jetzt in der Ukraine. Sein Kriegsgrund in Tschetschenien und der Ukraine ist auf eine fast ironische Art und Weise der selbe: Bekämpfung von Terrorismus. Die EU und vor allem Deutschland wurden früh genug gewarnt, wollten die Bedrohung, die von Putin ausging, aber nicht hören. Grund dafür ist die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland. Welche sich nun unter anderem in der Ölkrise zeigt.
Man hat versucht, aus Russland, wie übrigens auch aus China, einen Handelspartner zu machen. Die berüchtigte Handel und Wandelpolitik sollte in Russland und China zur Modernisierung der Politik und Gesellschaft führen. Zum Teil wurde diese Politik von Erfolg gekrönt: von Putins Amtsantritt bis 2009 stieg die russische Wirtschaftsleistung in gesamten Zahlen von 260 Millionen US-Dollar auf 1,9 Milliarden US-Dollar, eine Verachtfachung. Von dem Wirtschaftsboom profitierte die russische Gesellschaft. Die Arbeitslosigkeit sank auf fünf Prozent und das Durchschnittseinkommen stieg. Viele Wirtschaftsexperten hörten nun gar nicht mehr auf, Russland über den grünen Klee zu loben, allerdings wurde nun übersehen, dass Russlands starkes Wachstum nach dem Jahre 2008 stark nachließ. So lag das BIP Russlands 2017 mit 1,574 Billionen US-Dollar knapp unter dem BIP des Jahres 2008 mit 1,661 Billionen US-Dollar. Grund für diesen Einbruch sind neben der Finanzkrise aus dem Jahre 2009 und dem Ölpreiseinbruch 2014, Putins Besetzung der Krim, welche zur politischen Isolation und wirtschaftlichen Stagnation führte. Putin war ein Reformer der russischen Wirtschaft, zumindest in den Jahren von 2000 bis 2008. Doch spätestens seit 2014 kann man sagen, dass Putin die wirtschaftlichen Interessen Russlands unter seine eigenen machtpolitischen Interessen stellt. Dies unterstreicht der Ukrainekrieg. Die Weltbank rechnet für Russland mit einem BIP-Rückgang um 4,5 % im Jahre 2022. Dies scheint zwar weniger gravierend als die Zahlen, die einige Experten prognostiziert haben, dennoch lässt sich klar erkennen, dass der Ukrainekrieg der russischen Wirtschaft schadet.
Doch auch die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft profitierten vom Handel mit Russland. Russland zählte zu den 15 wichtigsten Handelspartnern Deutschlands im Jahre 2021. Die Föderation hatte einen Anteil von 2,3% am deutschen Außenhandel. Außerhalb der EU war Russland der viertwichtigste Importpartner und der fünftwichtigste Abnehmer deutscher Waren.
Schlussendlich ist Putin nicht der politische und wirtschaftliche Reformer Russlands den er dem Westen lange Zeit vorgegeben hatte zu sein. Auf die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Russland und die zahlreichen Kriege, die Putin, um seine Macht auszuweiten, getrieben hat und treibt, bin ich bereits eingegangen. Der Versuch, Russland durch Handel zu wandeln, hat dazu geführt, dass der Wohlstand und die Wirtschaftsstärke Russlands vorerst gestiegen sind. Das politische System hat dies allerdings nicht verändert. Russland hatte sich bereits seit Putins erstem Amtsantritt mehr in Richtung Autokratie als in Richtung Demokratie gewendet. Des Weiteren stagnierte die russische Wirtschaft nach Putins Wiederwahl im Jahr 2012, aufgrund der Besetzung der Krim. Ein weiteres Indiz dafür, dass Putins Hauptziel die Erweiterung seiner Macht ist. Zudem hat der verstärkte Handel mit Russland zu einer starken wirtschaftlichen Abhängigkeit der EU und insbesondere Deutschlands zu Russland geführt. Was sich vorallem in Deutschlands Ölimporten äußert. Im Jahr 2020 betrug der russische Anteil an den nationalen Öl-Importen Deutschlands 30%. Deutschland ist zudem leider immer noch der größte europäische Importeur von russischem Erdöl. Deutschland unterstützt mit seinen Öl-Importen seit Jahren den russischen Staat, dem 50% des größten russischen Gaskonzerns Gazprom gehört. Immerhin ist die Abhängigkeit von russischem Öl um 10% in einem Zeitraum von acht Jahren gesunken. 2014 lag der Anteil an deutschen Ölimporten aus Russland bei knapp 40%. Allerdings ist 40 – wie auch 30% ein viel zu hoher Anteil. Deutschland hätte also früher mit den Konsequenzen einer Abhängigkeit zu Putin rechnen müssen.
Verfasst von Theo Grollmann, Q1
Quellen:
www.bundestag.de unter Putins Rede vorm deutschen Bundestag,
www.mdr.de (Putin und die Deutschen) unter wieso hielt Putin am 21. September 2001 eine Rede vorm deutschen Bundestag?,
www.Presseportal.de/ZDF-Programmhinweis vom 11. April 2000 um 22.45 Uhr, deutschland Archiv/Wie ich Putin traf und er mir das Fürchten lehrte, www.aktionmensch.de/ Tschetschenien – Länderinformation,
www.tagesschau.de /Terror oder Taktik?Wikipedia Kaukasuskrieg 2008/ der Spiegel – Aufstieg und Fall der Putinomics/ Weltbank – Russlands BIP 2008 – Russlands BIP 2017/ Statisches Bundesamt – Fakten zum Außenhandel mit Russland/
Verfasst von Theo Grollmann, Q1Quellen:
www.bundestag.de unter Putins Rede vorm deutschen Bundestag,
www.mdr.de (Putin und die Deutschen) unter wieso hielt Putin am 21. September 2001 eine Rede vorm deutschen Bundestag?,
www.Presseportal.de/ZDF-Programmhinweis vom 11. April 2000 um 22.45 Uhr, deutschland Archiv/Wie ich Putin traf und er mir das Fürchten lehrte, www.aktionmensch.de/ Tschetschenien – Länderinformation,
www.tagesschau.de /Terror oder Taktik?Wikipedia Kaukasuskrieg 2008/ der Spiegel – Aufstieg und Fall der Putinomics/ Weltbank – Russlands BIP 2008 – Russlands BIP 2017/ Statisches Bundesamt – Fakten zum Außenhandel mit Russland/
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