Dreißig- bis vierzigtausend Buckelwale ziehen jährlich entlang der Westküste Australiens von Süden nach Norden durch das Ningaloo Reef 1200 km nördlich von Perth. Und nirgendwo sonst auf der Welt taucht in so großer Zahl und Regelmäßigkeit der Walhai auf wie vor diesem Riff. Das Ningaloo Reef mit Schutzstatus als Marine Park und seit 2011 Unesco Weltnaturerbe ist das größte Saumriff der Erde und ein global bedeutsamer Lebensraum für Korallen wie seltene Tierarten. Doch seit einigen Monaten sehen viele Einheimische das wertvolle und fragile Riff in Gefahr – durch ein geplantes Bauvorhaben an der Küste, das unter anderem eine Leitung zu Offshore-Gasfeldern durch Teile des Marine Parks vorsieht.
40 Kilometer südlich des Städtchens Exmouth, auf der Cape Range-Halbinsel gelegen, die vom Riff ummantelt wird, soll eine Anlage zum Bau von Leitungen zu Offshore-Gasfeldern gebaut werden. Noch ist das Projekt nicht genehmigt und befindet sich unter Begutachtung durch die Western Australia Environmental Protection Authority (EPA) und die State Environmental Agency. Träger ist die britische Firma Subsea 7. Seit Monaten erfährt das Projekt Aufmerksamkeit und Kritik in den örtlichen Medien, lokale Zeitungen befürchteten den Bau einer Gaspipeline mitten durch das Schutzgebiet. Konkret handelt es sich vielmehr um eine gebündelte Leitung, die elektrische Kabel, Glasfaserkabel, Kommunikationsleitungen, hydraulische Systeme und eventuell Kühlungs- und Erhitzungssysteme enthalten soll. Dabei handelt es sich nicht um eine langfristige Verbindung zwischen Festland und den Plattformen, sondern um eine temporäre Anbindung, wie Subsea 7 versicherte. Etwa zwei Mal im Jahr soll die Leitung nach dem Bau auf dem Festland auf das Wasser gebracht werden. Sobald dieses sogenannte Launching, das etwa zwei Tage dauert, beendet ist, würden die Materialien sofort aus dem Golf entfernt, so das Unternehmen.
Das Projekt befindet sich unter doppelter Begutachtung durch zwei Umweltbehörden. Bei der EPA erfährt es die höchstmögliche Bewertungsstufe, genannt Public Environmental Review, die zumindest in Teilen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Die Beurteilung wird laut Plan bis Mitte 2020 andauern, dann wird dem Umweltminister, dem die endgültige Entscheidung obliegt, ein finaler Bericht vorgelegt. Die Einschnitte in die Umwelt der Region sind dabei nicht geringfügig: Der Projektsantrag rechnet mit einer großflächigen Störung des Meeresbodens durch die Baumaßnahmen; ein Hektar durch die Leitung, sage und schreibe 1450 Hektar betroffener Meeresboden bei der ersten Operationsanlage und weitere 368 Hektar bei der zweiten.
Bisher gibt es weltweit erst eine weitere sogenannte Pipeline Bundle Facility, die bei Wick in Schottland angelegt ist und ebenfalls von Subsea 7 operiert wird. Exmouth ist laut dem Unternehmen eine der wenigen Plätze weltweit, die überhaupt für ein solches Projekt geeignet seien. Nach Informationen, die Subsea 7 bereitstellte, wird die Leitung an Land gebaut und getestet, und erst dann zu Wasser gelassen und an den Zielort geführt. Einen Klienten für die Leitung gibt es bisher nicht. Subsea 7 betonte auf Anfrage dieser Zeitung, die Leitungen dienten zur Weiterentwicklung der Offshore-Gasfelder, auf keinen Fall jedoch zum direkten Transport von Öl oder Gas von den Feldern an Land, und es würden keine Gas- oder Ölprodukte oder -nebenprodukte durch die Pipeline entstehen.
Das sogenannte EPA Scoping Document, ein erster Meilenstein der Begutachtung durch die EPA, beinhaltet eine umfassende erste Risikoeinschätzung des Projekts. Man fürchtet vor allem Eingriffe in die komplexen Küstenprozesse, die Erosion, veränderte Wellen- und Strömungsbedingungen und Aufwühlung von Sedimenten verursachen können. Dies könnte eine Verschlechterung der Wasserqualität zur Folge haben. Die direkten Eingriffe in den Meeresboden finden zwar nur außerhalb der Grenzen des Marine Parks statt, dies könnte aber dennoch auch das Riff selbst betreffen. Subsea 7 versicherte derweil, die Leitung im Bereich des Marine Parks läge kurz unterhalb der Wasseroberfläche und nicht am Meeresboden. Ein Sprecher des Unternehmens teilte auf Anfrage dieser Zeitung mit, Subsea 7 erkenne die ökologische Bedeutung der Region an und habe mehr als zwanzig unabhängige Untersuchungen unternommen, um mögliche Folgen des Projekts zu verstehen und zu bewältigen. „Subsea 7 ist der Ansicht, dass der Antrag einen ökologischen Vorteil für die Region darstellt“, so ein Sprecher.
Unterstützer des Projekts unterstreichen die großen wirtschaftlichen Vorteile des Projekts. Laut ihnen könnte es einen wirtschaftlichen Boom für Exmouth bedeuten. Während des Baus, Testens und Launchings der Leitung sind für einen 12-monatigen Zeitraum bis zu 120 Arbeitskräfte nötig, die durchschnittliche Zahl der Arbeiter auf der Anlage läge bei 70 bis 80. Subsea 7 versprach bereits, so viel lokale Arbeitskraft wie möglich aus der 2500 Seelen zählenden Stadt Exmouth und Umgebung einzusetzen und keine sogenannte „Fly-in-fly-out“- Arbeiter einzustellen. Das Unternehmen wirbt damit, die Anlage werde 17 Millionen Dollar jährlich direkt und indirekt zum Staatseinkommen des Bundesstaats Western Australia beitragen und mehr als die Hälfte davon werde in die Gascoyne Region, zu der Exmouth gehört, fließen. Auch die Wirtschaftskammer der Stadt und das Shire of Exmouth unterstützen das Projekt.
Die Risikenliste der Umweltbehörde geht jedoch noch weiter und erstreckt sich von mariner und terrestrischer Fauna und Flora über Binnengewässer und soziale Aspekte. Die Wasserqualität kann demzufolge unter Kontamination durch Nährstoffe, versehentliches Austreten von Chemikalien und Trübung leiden.
Ein derart großer möglicher Einfluss auf die Umwelt hat jedoch auch Umweltschützer auf die Barrikaden gerufen. Die Kampagne Protect Ningaloo, unterstützt auch von dem australischen Bestsellerautor Tim Winton, wendet sich kritisch gegen das Projekt und wehrt sich mit allen Mitteln gegen dessen Genehmigung. Sie fürchten, das fragile Gleichgewicht des Riffs, das für die Region und international so wertvoll ist, könnte großen Schaden nehmen. „Die Aktivitäten, die Subsea 7 vorschlägt, sind einfach unvereinbar mit dem global bedeutsamen ökologischen Wert des Gebiets. Der Bau einer 350m hohen Steinwand, das Scheuern durch Rohre und Ketten, die Auswirkungen auf Mangroven durch Emissionen und Verschüttungen, industrielle Aktivitäten auf unterirdischen Höhlensystemen – all dies bringt unnötige Risiken und Belastungen für die marine und terrestrische Umwelt mit sich“, so Paul Gamblin, Direktor von Protect Ningaloo gegenüber dieser Zeitung.
Auch könnte durch erhöhte Schiffspräsenz während des Launchings der Lärmfaktor eine Rolle spielen: Gerade die Megafauna der Ozeane, wie Wale, leiden unter dem Geräusch von Schiffsmotoren. Subsea 7 präsentierte daher zumindest ein Konzept zum Schutz der Megafauna: Es werde eine zwölfwöchige „No-launch“-Periode von August bis Oktober, der Hauptmigrationszeit der Buckelwale, zum Schutz der Tiere geben. Außerdem werde man während des Launchings Spotterflugzeuge nutzen, um Walhaie im Golf ausfindig zu machen und Schiffsbegegnungen mit ihnen zu vermeiden. Ziel sei „ein ökologisch sicheres und verantwortungsvolles Projekt“, so der Sprecher. Die Kampagne um Gamblin hält das jedoch kaum für ausreichend. Ningaloo Reef und der Golf von Exmouth seien miteinander verbundene Systeme, von deren Gesundheit wichtige Entwicklungsphasen wandernder Arten wie Buckelwale und Walhaie abhingen. „Ningaloo und der Golf bieten einige der gesündesten und produktivsten Lebensräume zu einer Zeit, in der so viele der Ozeane und Küsten der Welt unter enormem Druck stehen. Der Planet hat bereits etwa die Hälfte seiner Korallenriffe und einen hohen Anteil seiner Mangroven verloren“, warnt Gamblin.
Auch die wirtschaftlichen Vorteile des Projekts für die Region finden die Kritiker der Pipeline nicht überzeugend. Das Riff und die Biodiversität des Golfes generierten erfolgreichen Tourismus um Exmouth. „All diese ökonomischen Vorteile hängen von der Gesundheit des Riffes und des Golfes ab. Projekte, die wichtige Elemente der Umwelt hier schädigen, gefährden die zugrundeliegende Basis für die wirtschaftliche Tätigkeit“, argumentiert Gamblin. Unterdessen erklärte Subsea, schon jetzt habe man 500 000 Dollar in Exmouth investiert. Protect Ningaloo sieht das kaum positiv. „Der intelligente Ansatz besteht darin, den Druck auf diese natürlichen Systeme zu verringern und nicht zu erhöhen.“
Neue Kritik am Projekt entzündete sich auch anlässlich eines neuen Berichts über die Biodiversität des Golfes vom Meeresbiologen Dr. Ben Fitzpatrick. Wie ABC und der West Australian berichteten, hat der Golf von Exmouth mit 1800 Tierarten eine ebenso große Biodiversität wie das Ningaloo Reef und hat globale Bedeutung in der Erhaltung der marinen Tierwelt. In dem Bericht fordern 16 Wissenschaftler den Schutz des gesamten Golfes vor industriellen Entwicklungen wie der Pipeline von Subsea. Der Ruf, den Bau der Anlage zu stoppen, wird laut. Zur Frage, ob Subsea versucht habe, die Fläche an Meeresboden, die durch die Anlage gestört wird, zu minimieren, äußerte sich das Unternehmen derweil nicht.
Sollte das Unternehmen trotz aller Risiken tatsächlich genehmigt werden, so wird es einen weiteren unberührten marinen Schatz weniger geben. Selbst angesichts der Versicherungen von Seiten Subseas ist zweifelhaft, ob man die Biodiversität des Golfes angesichts derart steigender industrieller Aktivitäten dann noch lange schützen kann. Gamblin sieht dabei nicht nur für die Natur schwarz, sondern auch für die Menschen vor Ort: „Touristen werden nicht in ein Gebiet gezogen, das zunehmend industrialisiert und gefährdet wird.“
Autor: Katharina Moser
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