„Sie ist noch weit entfernt, betrifft erst unsere Enkelkinder oder erst deren Kinder. Hier in Deutschland kann es doch noch lange dauern, bis wir sie zu spüren bekommen, außerdem geht es uns doch gut und irgendwie bekommen wir das dann schon hin, wenn es ein wenig brenzlig wird.“ Wie oft musste ich mir diese Sprüche schon anhören? Oft genug. Die Klimakrise ist nicht nur Zukunft, sie ist mittlerweile auch Gegenwart. Wir können uns immer weniger leisten, uns bequem zurückzulehnen und anderen Ländern beim Leid zuzusehen, das sie, größtenteils von uns verursacht, tragen müssen. Aber eins nach dem anderen.
In diesem Artikel betrachten wir das Instrument des Nudgings, das uns helfen soll, in unserem Alltag Klimaheld*innen zu werden, Emissionen zu senken und für weniger Umweltverschmutzung zu sorgen. Das ist nötig, da sich die Erde jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag ein Stück weiter erwärmt und die Klimakrise mit einer solchen Wucht auf uns zurollt, dass wir nicht einmal alle wahrhaben wollen, dass die Überflutungen in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2021 dem Klimawandel geschuldet waren. Da dieser menschengemacht ist, liegt es also an uns, ihn zu stoppen und uns an die Schäden anzupassen, die nicht mehr verhindert werden können. Stichwort ist hierbei der Begriff „Loss and Damage“. Wenn wir aber in die medialen Diskussionen schauen, so stellen wir fest, dass es bei der Verhinderung und Eindämmung der Klimakatastrophe offenbar einige Menschen gibt, denen die Maßnahmen zu weit gehen, die Anpassung zu schnell oder die generell finden, dass ein viel zu großer Wirbel um die ganze Sache gemacht wird. In diesem Artikel soll es um die Chance gehen, in unserer konsumorientierten und bequemlichen Gesellschaft durch intuitives Verhalten klimafreundlich zu leben und darum, warum das aber dennoch nicht genügt.
Der Begriff „Nudging“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Stupser“. Er wurde im folgenden Zusammenhang zum ersten Mal in Cass Sunsteins und Richard Thalers Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ verwendet. Nudges können Menschen bei Entscheidungen so umlenken, dass sie sich eher so verhalten, wie sie es eigentlich- ihren Werten und Zielen entsprechend- gerne würden. Somit stellen sie eine gezielte Gestaltung der Entscheidungsumgebung dar, womit sich vor allem die Verhaltensforschung beschäftigt, denn Nudges können Verhaltensänderungen herbeiführen. Dadurch können Emissionen, wenn auch in geringem Umfang, dafür aber sehr leicht reduziert werden. Malt man beispielsweise die Fahrradwege nicht weiß, sondern rot an, wie es in Oslo gemacht wurde, konnte dort beobachtet werden, dass Autos mehr Abstand zu Fahrradfahrenden hielten und es auch insgesamt weniger Fahrräder auf Gehwegen gab. Fotos von Tieren auf Fleischprodukten sorgten dafür, dass der Tod des Tieres in den Fokus rückte und sich etwa ein Viertel der Menschen dagegen entschied, Fleisch zu kaufen. Durch die Reduzierung der Tellergröße von 24cm auf 21cm verringerten sich die Portionsgrößen und weniger Lebensmittel wurden weggeworfen. All dies und noch viel mehr sind Beispiele für erfolgreiches Nudging, das klimafreundliches Verhalten fördert. Dieses steht, wie man beobachten kann, im Gegensatz zum verkaufsfördernden Nudging, wie es im Marketing betrieben wird und das den Kauf von Produkten, ungeachtet ihrer Klimafreundlichkeit fördern soll. Auch in den sozialen Netzwerken finden sich übrigens Formen des Nudgings.
Nun mag der eine oder die andere sich wundern, wie eine Gesellschaft, in der Nudging weit verbreitet ist, noch selbstbestimmt sein kann. Schließlich betrifft es das intuitive Verhalten der Menschen. Manche bezeichnen es als „Führung“ der Individuen, als „Ausnutzen“ des menschlichen Bedürfnisses nach Zugehörigkeit, da bestimmte Werte und Normen aufgezwungen werden. Dabei muss eingewendet werden, dass es beim Nudging immer eine Wahlfreiheit gibt. Zudem ist die absichtliche negative Konnotation der Führung und des Ausnutzens unbegründet gewählt, denn entgegen der Vermutung handelt es sich beim Nudging nicht um ein Ansprechen des heuristischen Verfahrens der Entscheidungsfindung. Das bedeutet, dass Menschen ohne genaue Sachkenntnis und vornehmlich emotional auf Basis von Vorurteilen ihre Entscheidung bilden, was richtiges Nudging verhindert. Es ist keine Manipulation, denn sobald das Nudging transparent offengelegt wird und die Bevölkerung darüber aufgeklärt wird, kann von keinem Ausnutzen gesprochen werden. Im Gegenteil: Je informierter und überzeugter Menschen davon sind, dass eine Verhaltensänderung sinnvoll ist, desto größer ist die Wirkung.
Nudging als politisches Gestaltungsinstrument ist also sehr sinnvoll. Soziale Normen werden aktiv genutzt, Informationen bereitgestellt und vereinfacht und die physische Umgebung wird umgestaltet, sodass das klimafreundliche Handeln von ganz alleine kommt. Durch veränderte „Standardeinstellungen“, was auch als Default Nudges bezeichnet wird, gibt es eine schnellere Gewöhnung, da die Mitwirkung freiwillig ist. Dies macht Nudges beständiger als Verbote, denn es geht viel mehr um Motivation, anstatt um Zwang. Vorausgesetzt ist natürlich, dass die Menschen das Ziel des Nudges akzeptieren.
Aber ist das alles so rundum positiv? Es klingt alles so einfach und entspricht ganz und gar den Kriterien der aktuellen Konsumgesellschaft. Aber gerade das ist der Punkt: Es geht um viel mehr als um kleine, einfache Verhaltensänderungen, auch wenn diese sicherlich dazu beitragen, dass wir Menschen mehr auf die Gesundheit unseres Planeten Acht geben. Aus diesem Grund lässt sich Nudging sehr gut, ergänzend zu anderen Maßnahmen, einsetzen und kann diese sogar verstärken. Das Problem ist aber strukturell, es ist gerade die Konsumgesellschaft. Das nachhaltigste Produkt ist das, welches gar nicht erst produziert wird.
Wird sich zu sehr auf einfach umsetzbare, unkomplizierte, freiwillige und daher bequeme Maßnahmen wie das Nudging fokussiert, verlieren wir den eigentlichen Stein im Schuh aus den Augen. Welt retten geht eben nicht einfach so nebenbei. Sicher, es ist nicht gerecht, dass zukünftige Generationen wortwörtlich das „ausbaden“ müssen, was ihre Vorfahren falsch gemacht haben. Wir haben aber keine Wahl. Kritiker*innen des Nudgings werfen vor, dass dieses oft gepuscht wird, weil somit beispielsweise der Verkauf bestimmter Produkte gefördert wird, was nicht immer unbedingt nachhaltiger ist. Auch werden die grundlegenden Fragen umgangen. Es wird davon abgelenkt, dass nur ein kollektives Umdenken im Sinne der Gesundheit der Erde, die wir alle bewohnen, die wirkliche nachhaltige Veränderung bringen wird. Außerdem erfolgt beim Nudging eine Abgabe der Verantwortung an Privatpersonen und eher die breite Masse, welche zu einer Verhaltensänderungen bewegt werden soll. Das reichste Prozent der Bevölkerung wird hingegen nicht direkt angesprochen, das laut einer Oxfam Studie bis 2030 für 16 Prozent der globalen Gesamtemissionen verantwortlich sein wird. Bisher ist es nämlich so, dass die Nudges vor allem Produkte oder Angelegenheiten betreffen, mit denen die Mittelschicht und auch ärmere Menschen im Alltag zu tun haben.
Es lässt sich nun das Fazit ziehen, dass Nudging, sobald es transparent und aufklärend betrieben wird, zu einer breiteren Akzeptanz von Maßnahmen für den Klimaschutz beitragen kann. Es ist zudem leicht umsetzbar und zielt auf die Fähigkeit des Menschen ab, sich schnell an soziale Normen anzupassen. Ergänzend zu anderen Maßnahmen wird es uns also sicherlich zukünftig weiter begleiten. Noch tiefgreifender sind aber soziale Bewegungen, sei es Fridays for Future oder andere Gruppen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen und uns immer wieder bewusst machen, dass das Klima jetzt gerettet werden muss und nicht erst irgendwann. Sie zeigen nämlich, dass es eine Gesellschaft braucht, in der alle dasselbe Ziel vor Augen haben, nämlich die Verhinderung einer Klimakatastrophe. Von der Wissenschaft entworfene Konzepte reichen leider einfach nicht aus, auch wenn wir sie dringender denn je brauchen.
Paulina Stuckenschneider, Q1
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