Im ersten Halbjahr 2022 konnte der Energiekonzern RWE seinen Gewinn (bereinigtes Ebit) auf 2,1 Milliarden Euro verdoppeln. Der Mineralöl- und Erdgas-Konzern Shell fuhr allein im ersten Quartal 2022 einen bereinigten Gewinn von 11,5 Milliarden Dollar ein, nahezu dreimal so viel wie im ersten Quartal 2021 mit 4,55 Milliarden. 2,5 Milliarden Euro verdiente das Energieunternehmen E.ON allein im ersten Halbjahr 2022, 2021 waren es in diesem Zeitraum lediglich 1,2 Milliarden Euro gewesen. Stimmen werden laut, die diese Mehrgewinne ungerecht finden und fordern, dass genannte Unternehmen einen Teil ihres Profits an den Staat abgeben müssen. Die Debatte über die sogenannte Übergewinnsteuer nimmt in diesem Jahr wieder Fahrt auf und es kristallisiert sich ein allgemeiner Zuspruch zur Übergewinnsteuer als sinnvolle mögliche Maßnahme zur Umverteilung heraus.
Wie die aktuelle Lage in Deutschland aussieht
Was wir alle mit diesen Konzernen zu tun haben, wird in diesem Jahr mehr als deutlich: Wir brauchen Energie für eine warme Wohnung, beim Kochen, Duschen oder für Licht. Energie brauchen auch andere Unternehmen, um lebenswichtige Produkte produzieren zu können. Unsere moderne Gesellschaft ist in nahezu jedem Lebensbereich abhängig von Energie geworden, welche wir zumeist aus Erdöl, Erdgas oder Kohle gewinnen. Die Nutzung dieser fossilen Energieträger ist nicht nur der Grund, warum wir unseren eigenen Planeten zerstören, sondern auch ein Abhängigkeitsfaktor von autokratischen Staaten wie Russland. Da in den vergangenen Jahren ein großflächiger Umstieg auf erneuerbare Energien von der Bundesregierung verpasst wurde und wir unseren Energiebedarf folglich nicht durch diese umweltfreundlichen Energiequellen decken können, sind wir umso abhängiger von den unvorhersehbaren Launen bestimmter Diktatoren. Wird der Export von Erdgas vom russischen Präsidenten Vladimir Putin gestoppt, geraten wir in eine Krise.
Was bedeutet Inflation im Jahr 2022?
Die Inflationsrate in Deutschland betrug im September dieses Jahres 10%. Inflation, das bedeutet einen Anstieg des Preisniveaus und Geldentwertung. Da im Verhältnis mehr Geld im Umlauf ist, als Güter produziert werden, nimmt die Kaufkraft des Geldes ab, kurz gesagt: Konsument*innen können sich weniger leisten. Für die aktuelle Inflation ist in besonderem Maße die Energiekrise verantwortlich, denn nirgendwo sonst stiegen die Preise so schnell an wie in der Energiebranche. Ohne diese Preissteigerungen läge die Inflationsrate laut des Statistischen Bundesamtes lediglich bei 4,7%. Von der Inflation sind besonders die Mittel- und Unterschichten betroffen, welche auf eine Preissteigerung finanziell nicht ausreichend vorbereitet sind. Der Lohn reicht bald nicht mehr aus, um sich bestimmte Produkte kaufen zu können und auch Personen, die von den bezogenen Sozialleistungen abhängen, müssen viele Abstriche beim Konsum machen. Gespartes Geld verliert an Wert, sodass Menschen, die viel Geld sparen ebenfalls Verlierer*innen der Krise sind. An dieser Stelle sieht sich in einer sozialen Marktwirtschaft der Staat in der Rolle, die Betroffenen, also die breite Masse, aufzufangen und sie durch die Krise hindurchzutragen.
„Krisengewinner*innen“
Doch wie immer gibt es auch bei Krisen Personen oder Instanzen, die profitieren. Dazu können meistens wohlhabende Personen gezählt werden, welche besonders häufig Sachwerte wie Aktien oder Immobilien besitzen. Die Inflation spielt bei einem niedrigen Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) auch Geschäftsbanken in die Hände: Sie leihen sich das Geld günstig bei der EZB und geben es zu teuren Zinsen durch Kredite an ihre Kund*innen weiter. Zuletzt soll jedoch der Staat erwähnt sein, der wie auch andere Verschuldete durch den Geldwertverlust unter anderem seinen großen Schuldenberg abbauen kann. Doch neben diesen Instanzen gibt es bei den aktuellen Krisen noch andere, denen höhere Energiepreise zugutekommen: sogenannte Krisengewinner*innen, oder wie es in einem Artikel der ZEIT heißt: „faule Früchte der Krise“. Konzerne wie BionTech oder Amazon konnten während und durch die Coronapandemie „Übergewinne“ einfahren, also Gewinne, die über den unterschiedlich berechenbaren „Normalgewinn“ hinausgehen oder auch Spekulationsgewinne, die auf keiner konkreten Leistung beruhen. Und aktuell sind es genau die Unternehmen, die zu Beginn dieses Artikels genannt wurden, die sich an der Energiekrise bereichern können. In Deutschland existiert keine sogenannte „Übergewinnsteuer“ wie in Italien oder Großbritannien. Auch Rumänien, Spanien und Griechenland haben dieses Jahr auf Empfehlung der EU im Frühjahr 2022 eine Übergewinnsteuer eingeführt. Die Folgen lassen sich an diesen Zahlen erkennen: Während die Übergewinne in Österreich bei 4,3, in Spanien bei 7,6 und in Frankreich bei 13,3 Mio Euro pro Tag liegen, hat Deutschland Übergewinne von 38 Millionen Euro pro Tag. Der viel diskutierte und ideologisch beladene Begriff „Übergewinnsteuer“ bedeutet schlicht und einfach, dass die Übergewinne von Konzernen, die derzeit übermäßig viel Profit machen, also vor allem Energiekonzerne, zu einem gewissen Teil versteuert werden. Es handelt sich um einen Eingriff des Staates, was vor allem bei liberalen Parteien wie der FDP für Unruhe sorgt.
Die Kritik an der Idee „Übergewinnsteuer“
Aus dieser Ecke aber auch von einigen Ökonom*innen stammt auch der Großteil der Kritik an dem Modell der Übergewinnsteuer. FDP-Fraktionsvorsitzender und Bundesfinanzminister Christian Lindner ist in dieser Debatte besonders laut und verweist vor allem auf die Umsetzbarkeit bezüglich der rechtlichen Situation. Der Gleichheitssatz im Grundgesetz spricht für Steuergerechtigkeit. Demzufolge müssen bei gleicher Leistungsfähigkeit Unternehmen gleich steuerlich belastet werden, eine Ungleichbehandlung müsste auf besondere Weise gerechtfertigt werden. Auch gebe es keine genauen Zahlen zur Gewinnsituation in der Mineralölindustrie. Er warnt davor, „populistischen Reflexen in der Steuerpolitik Tür und Tor zu öffnen“ und nimmt die Übergewinnsteuer als „willkürlich“ wahr. FDP-Politiker Lukas Köhler sprach sich im Deutschlandfunk ebenfalls gegen eine Übergewinnsteuer aus und begründet seine Position mit einem „zu deutlichen Eingriff in den Markt“, welcher „den Investitionsspielraum für zukünftige Projekte, die die Firmen im Zuge der Energiewende brauchen“ beschränke. Der frühere Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, verweist auf den populistischen Charakter der Debatte und auch die aktuelle Wirtschaftsweise Veronika Grimm zweifelt daran, dass es eine genaue Definition des Übergewinns gebe und konkrete Umsetzungsideen ausgearbeitet worden seien. Eine Übergewinnsteuer würde „mehr schaden als nützen“.
Warum eine Übergewinnsteuer sinnvoll ist
Trotz solch harscher Kritik und der Stärke der FDP als Finanzpartei im Bundestag sind jedoch nicht die Stimmen der Befürworter*innen einer Übergewinnsteuer zu vernachlässigen. Diese sind laut und vielzählig, so zeigt eine Umfrage von Infratest dimap, dass 76% der Bevölkerung eine Übergewinnsteuer als richtig erachten. Zudem sind zwei der drei Koalitionsparteien, die SPD und die Grüne, und auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung für die Einführung der Steuer. Die Hauptargumente auf dieser Seite liegen auf der Seite der breiten Masse und weniger bei den Unternehmen, was wohl den „populistischen Charakter“ der Debatte begründen mag. Inwiefern es jedoch populistisch ist, eine Entlastung in akuten, schwerwiegenden Krisenzeiten zu fordern, sei nun nicht weiter ausgeführt, und stattdessen sei auf eine Studie zu verweisen, welche in der Übergewinnsteuer eine Chance sieht, Steuern gerechter zu machen. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit konnte in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Verdi und der Hilfsorganisation Oxfam in seiner Studie im Auftrag der linkspartei nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung herausstellen, dass mit einer Übergewinnsteuer „Einnahmen in Höhe von 30 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr“ möglich seien. Dabei ist die Forderung zu erwähnen, dass diese Mehreinnahmen auch bei den Menschen ankommen sollten, für welche eine Einführung der Übergewinnsteuer gedacht ist und nicht, wie beim von der FDP bejubelten Tankrabatt, letztlich vor allem Großunternehmen profitieren.
Lindners Position wird in einem Artikel der taz als „ideologisch und verteilungspolitisch motivierte Verteidigung des Status quo“ wahrgenommen. Es gehe somit um eine Lösung der aktuellen Probleme, die sich vor allem am Gerechtigkeitsprinzip orientiert. Und auf den Vorwurf, die Übergewinnsteuer sei lediglich eine Idee von Sozialist*innen kann erwidert werden, dass die britische Premierministerin Margaret Thatcher, eine Ikone des freien Marktes, 1981 britische Banken mit einer Übergewinnsteuer belegt hat. 1982 sollte eine weitere Übergewinnsteuer Supergewinne von Ölfirmen abschöpfen. Auch Boris Johnson sorgte für 25% Steuererhöhungen von Energiefirmen.
Dass die Mehreinnahmen in Spanien oder anderen Ländern mit Übergewinnsteuer sinnvoll eingesetzt würden, ist ebenfalls eines der zentralen Argumente der Befürworter*innen. In Spanien ist der ÖPNV kostenlos, es gibt eine Obergrenze für Mietsteigerungen und die Mehrwertsteuer für Strom sinkt von zehn auf fünf Prozent. Niedrigrenten werden um 15 Prozent angehoben und der Mindestlohn steigt. All dies sind Maßnahmen, die einen gesellschaftlichen Nutzen haben und in großem Maße Betroffene entlasten.
Fazit
Die Preise klettern rücksichtslos immer weiter den Inflations-Baum hinauf, eine Rezession erwartet Europa und Ökonom*innen warnen: wir werden in den nächsten Jahren ärmer werden. Dabei gilt es, den Fokus weg von denen zu richten, die ohnehin die großen Gewinne einfahren, hin zu der breiten Masse, der Mittel- und Unterschicht, kleinen und großen Unternehmen. Bei all den ideologischen Diskussionen und dem Festhalten an liberalen Vorstellungen, geht eins ganz unter: Es ist die ethische Frage nach Gerechtigkeit, die Thomas Beschorner im Artikel „Die faulen Früchte der Krise“ in der ZEIT gut zusammenfasst: Wer trägt welche Lasten? Wie verteilen sich die finanziellen Kosten auf verschiedene gesellschaftliche Akteure?
Die Fridays For Future Bewegung und viele andere riefen dieses Jahr auf den Straßen laut: PEOPLE OVER PROFIT. An diesem Leitsatz sollten wir uns alle orientieren.
Folgendes kurzes Video zum Thema ist eine Empfehlung:
Verfasst von Paulina Stuckenschneider, Q2
Meine Quellen und zum Weiterlesen (Die Debatte bleibt wichtig!):
https://www.deutschlandfunkkultur.de/inflation-entlastung-uebergewinnsteuer-100.html
https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/inflation-preise-teuer-energie-lebensmittel-100.html
https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/faq-inflation-2062284
https://taz.de/Studie-zu-Uebergewinnsteuer/!5871914/
https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/neue-studie-krisengewinner-und-die-finanzierung-der-krisenbewaeltigung/
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-08/uebergewinnsteuer-christian-lindner
https://www.deutschlandfunk.de/uebergewinnsteuer-steuer-gewinne-100.html
https://de.statista.com/infografik/1990/gewinn-verlust-deutscher-energiekonzerne/
https://www.fr.de/panorama/spanien-uebergewinnsteuer-kostenloser-oepnv-energiekonzerne-banken- 91693535.html
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article240760847/Pro-Contra-Brauchen-wir-eine- Uebergewinnsteuer.html
https://www.inflationsrate.com/
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/inflation-staat-101.html
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/uebergewinnsteuer-rechtslage-konzerne-101.html
https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2022-08/uebergewinnsteuer-energiekrise-inflation- gewinn-energiekonzerne
https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-08/gasumlage-gewinn-energiekonzerne-verbraucherschutz- bundesregierung
Artikel-Bild:
https://praxistipps.focus.de/uebergewinnsteuer-oder-kriegssteuer-einfach-erklaert_149672
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