Johnson in Großbritannien, Geert Wilders in den Niederlanden, Bernd Lucke in Deutschland, Beppo Grillo in Italien, Kenneth Kristensen Berth in Dänemark – in jedem Land der EU findet man EU-Skeptiker, die auf einen Austritt aus der EU drängen. Vor der Wahl in Frankreich schimpfte noch Marine Le Pen: „Es ist an der Zeit, mit der EU Schluss zu machen. Wir müssen dieses bürokratische Monster abschaffen“ und „Die EU ist ein großes Verhängnis, ein antidemokratisches Monster!“. Dabei begründen alle Politiker das mit der Überzeugung, ihr Land sei ein Verlierer der EU. Aber wer sind eigentlich diese Verlierer, und wer die Gewinner? Und gibt es sie überhaupt?
Vor gut drei Jahren erstellte die Europäische Kommission ein Gutachten, das genauestens erfasst, welcher Mitgliedstaat der EU wie viel in den Haushalt einzahlt und aus ihm erhält. Auffallend ist dabei, dass einige Staaten mit negativen Salden Nettozahler sind, andere mit positiven Salden hingegen Nettoempfänger. Während also fast die Hälfte der Staaten mehr einzahlt als empfängt, kassieren andere aus dem EU-Haushalt jede Menge Gelder. Bezogen auf die absoluten Zahlen war Deutschland mit -14,3 Mrd. Euro erneut der Hauptzahler der EU, während Polen mit +9,5 Mrd. Euro absolut am meisten empfängt. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt der Staaten betrachtet, ist die Niederlande hingegen mit -0,54% seines BIPs der größte Nettozahler, gefolgt von Schweden (-0,48%), Deutschland (-0,46%), dem Vereinigten Königreich (-0,46%) und Belgien (-0,33%), während Bulgarien mit +5,33% ihres BIPs und Ungarn +4,38% die größten Nettoempfänger sind. Und bezogen auf die Einwohnerzahl zahlen Schweden mit -225,7 Euro pro Kopf und die Niederlande mit -218,6 Euro am meisten, die Tschechische Republik (+540,8 Euro pro Kopf) und Ungarn (+470,4 Euro pro Kopf) erhalten am meisten.
Diese Zahlen scheinen Wasser auf die Mühlen der EU-Kritiker zu sein: Deutschland, die Niederlande und Schweden blechen, und die östlichen und südlichen Länder kassieren dankbar ein und lachen sich ins Fäustchen? So ist der erste Anschein, wenn man diese Zahlen liest. Aber auch nur der erste Schein. Denn ob sich die EU-Mitgliedschaft für ein Land rechnet, lässt sich keineswegs allein an einer buchhalterischen Gegenüberstellung von Nettozahlern und Nettoempfängern erkennen. Und dies aus einem ganz einfachen Grund: Diese Daten beziehen sich allein auf die Gelder des EU-Haushalts, erfassen aber nicht die gesamten finanziellen und wirtschaftlichen Folgen der EU für die Mitgliedstaaten. Denn diese erwachsen nicht allein aus erhaltenen bzw. gezahlten Geldern in den Haushalt, sondern werden vielmehr auch, und das noch gravierender, von den wirtschaftlichen Regelungen der EU bestimmt. Und das sind einige.
Alle Staaten haben wirtschaftliche Vorteile
Zunächst ist da der europäische Binnenmarkt, den die EU schafft. Er garantiert einen freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital, keine innereuropäischen Zölle müssen gezahlt werden. Grenzenloser Güterverkehr kann stattfinden. Dies garantiert erhebliche logistische Erleichterungen sowie hohe Kostenersparnisse für die Wirtschaft aller Mitgliedstaaten. Gleichzeitig bedeutet ein derartig erweiterter Markt mehr Arbeitsplätze sowie mehr Wettbewerb wegen einer höheren Anzahl von auf gleicher Ebene konkurrierender Firmen. Für den Verbraucher heißt das erhöhte Produktvielfalt und niedrigere Preise, und das in jedem Mitgliedstaat. Außerdem sorgt der Euro als einheitliche Währung für stabile Preise, die keinen großen Schwankungen unterliegen und Investitionen sicherer machen. Die EU ist also für seine Mitgliedstaaten wirtschaftliche Stütze. Kritiker werden nun einwerfen: Und was ist mit der Eurokrise, soll die auch gut sein? Bei der handelt es sich nicht, wie der umgangssprachliche Begriff zuerst suggeriert, um eine Krise des Euros, sondern um die Schuldenkrise einiger Länder im Euroraum, wie Griechenland, Spanien, Irland oder Portugal. Für die Gelder der Rettungsschirme haften dabei nicht einzelne Länder wie Deutschland allein, sondern der Europäische Stabilitätsmechanismus, in den mehrere Länder eingezahlt haben. Dieser dient dazu, EU-Länder vor dem Staatsbankrott zu bewahren, der negative Auswirkungen für den gesamten europäischen Markt hätte. Und die Niedrigzinspolitik der EZB, fragen andere da weiter, schadet die uns nicht auch? Durch das billige Geld der EZB vergeben Banken nun mehr Darlehen, und dies führt zu einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, 0,6% in der ganzen Eurozone, 0,8% sogar in Deutschland.
Und wer sind nun die Gewinner der EU?
2014 ergab eine Studie der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zu den Gründungsmitgliedern der EU (15; 14 wurden untersucht), dass sich der europäische Binnenmarkt auf ihre Wirtschaft positiv ausgewirkt hat. Besondere Gewinner seien Deutschland und Dänemark. Die Mitgliedschaft in der EU hat in Deutschland von 1992 bis 2012 einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts um 37 Milliarden Euro bewirkt. Das entspricht einem jährlichen Einkommensgewinn von 450 Euro pro Deutschen. Auch Dänemark hat mit einem jährlichen Einkommenszuwachs von sogar 500 Euro stark profitiert, weiter Österreich mit 280 Euro. Ebenfalls alle anderen untersuchten Staaten haben Gewinne zu verzeichnen, die allerdings deutlich darunter liegen. Der durchschnittliche jährliche Einkommenszuwachs pro Person aufgrund des europäischen Binnenmarktes der EU beträgt bei Italien 80 Euro, bei Spanien und Griechenland 70 Euro und bei Portugal 20 Euro. Auf der anderen Seite profitieren südliche Länder mit hohen Staatsschulden aber auch von einer Refinanzierung durch niedrige Zinsen. Durch die Mitgliedschaft in der EU haben also alle Staaten wirtschaftliche Gewinne zu verzeichnen.
Mehr als nur finanzieller Nutzen
Und dabei sind die wichtigsten Vorteile der EU-Gemeinschaft noch gar nicht berücksichtigt: Politische Stabilität, Sicherheit, gemeinsame Werte, Solidarität, stärkeres Auftreten in der Außenpolitik, Reisefreiheit, Verbraucherschutz – davon profitiert jedes einzelne Mitgliedsland. Die Kriegsgefahr in Europa wäre ohne die EU, z. B. angesichts der russischen Bedrohung für Estland, Litauen oder Polen, deutlich größer. Und gerade angesichts der hohen Terrorismusgefahr ist ein solidarisches Zusammenhalten auf Grundlage unserer westlichen Werte wichtig. Ich will das Land sehen, das angesichts dessen heute alleine dastehen will. Oder wie Sigmar Gabriel es einmal sagte: „Jeder Euro, den wir für den EU-Haushalt zur Verfügung stellen, kommt – direkt oder indirekt – mehrfach zu uns zurück.“
Autorin: Katharina Moser
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